Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
»Was wisst ihr über Solderwein?«
Senior kramte seinen Notizblock aus der Tasche. Modernen Aufzeichnungsgeräten traute er nicht, dass er ein Handy benutzte, grenzte an ein Wunder.
»Also …« Er dehnte das Wort, bis es zu zerreißen schien. »Der Name kam mir gleich bekannt vor. Sagt er dir nichts?«
Fran schüttelte den Kopf.
»Er war mal Chef der Düsseldorfer Real-Investment Bank. Hat den Laden voll an die Wand gefahren und dafür gebüßt. Er wurde verurteilt. Das war 2001. Zwei Jahre auf Bewährung. Nach dem Urteil hat man nichts mehr von ihm gehört. Wie vom Erdboden verschluckt. Keine weiteren Infos. Als wäre er gestorben.«
»Dann finde heraus, warum er sich lebend begraben hat. Finde alles über ihn heraus und über seine Familie. Wer von ihnen lebt noch und wo? Gab es Verbindungen der Familie Solderwein zu Nazis? Hat die Familie vom Zweiten Weltkrieg profitiert? Wie ist er gestorben? Und so weiter und so fort. Ich muss dir doch deinen Job nicht erklären?«
»Hör mal, Solderwein ist eines natürlichen Todes gestorben. Habe ich schon gecheckt. Wir machen hier keine Mordermittlung.« Senior stemmte die Arme in die Hüften.
Fran hob die Augenbrauen, betrachtete Senior, als hätte er sie gerade gefeuert. »Willst du wissen, was passiert ist, oder nicht? Sollen wir die Sache einfach als Vandalismus eintüten, oder wollen wir herausfinden, warum Satanisten ausgerechnet hier eine schwarze Messe gefeiert haben? Wenn das Nazis waren, fresse ich eine Hexe samt Besen! Der ganze Tatort quillt über von Zeichen und Symbolen der Satanisten! Echter Satanisten. Ich muss alles wissen, sonst kann ich sie nicht richtig deuten.« Sie wartete einen Moment, aber Senior hatte nichts zu sagen. »Übrigens: Warum wird ein hochdekorierter Mordermittler auf diese Lappalie angesetzt? Von wegen freiwillig. Das kannst du deiner Oma erzählen. Wie ist deine Order? Gibt es keinen Druck von oben, die Sache schnell aufzuklären? Grabschändung auf einem Friedhof im netten Düsseldorf, das klingt nicht gut, oder?« Sie holte Luft.
Senior ergriff die Gelegenheit. »Ich hätte noch Bedarf für eine Verhörspezialistin. Welche Frage soll ich zuerst beantworten?«
Fran zog eine Grimasse.
»Okay. Ich bin nicht ganz freiwillig hier. Und ja: Wir haben Druck von oben, mächtig sogar.«
Fran klatschte in die Hände. »Wunderbar. Dann kriegen wir bestimmt ein paar Ressourcen, oder? Mein Team steht bereit.«
Senior nickte bedächtig, gab sich geschlagen. »Kannst du mir einen Anhaltspunkt geben, mit dem ich argumentieren kann?«
»Klar. Pro Satanisten: Das Huhn, das Blut, der Friedhof, die Nacht. Contra Satanisten: Solderwein. Banker sind keine erklärten Feinde der Satanisten. Im Gegenteil. Banker sind ja eher dem Leben zugeneigt, sie häufen Reichtum im Diesseits an und geben nicht viel auf christliche Werte. Das Grab ist christlich, ja, aber das alleine reicht nicht. Wenn es ein Geistlicher wäre, der da liegt, dann würde es Sinn machen. Aber so? Satanisten bedienen sich üblicherweise christlicher Symbole und Orte, das zumindest passt wieder. Pro Nazis: Grabschändung. Keine Frage, das ist ihr Metier. Contra Nazis: Warum so klein, so begrenzt? Normalerweise schlagen die alles kurz und klein, aber bei den Juden und nicht bei den Christen, und finden es gut, wenn es anständig Presse gibt, die ihre wirren Gedanken verbreitet oder zumindest erwähnt. Vielleicht waren es Linke? Ich glaube, da steckt irgendetwas anderes dahinter.«
Senior nickte, zückte sein Handy, ging ein paar Schritte zur Seite, murmelte in sein Gerät, beugte seinen Oberkörper, richtete sich wieder auf, schwieg, murmelte erneut, drehte sich einmal im Kreis. Es sah aus, als wolle er das Telefon mit magischen Sprüchen verhexen. Nach zwei Minuten unterbrach er die Verbindung, drehte sich zu Fran um, hob den Daumen und zeigte dann eine Drei.
Drei Tage, zweiundsiebzig Stunden.
Sie zückte ihr Handy, bestellte das Team an den Tatort. Das war ein weiterer Grundsatz ihrer Arbeit: Alle mussten den Tatort sehen, spüren, erleben, alle mussten die Zeichen in sich aufnehmen, und jeder für sich musste sie deuten, damit sie den Tathergang rekonstruieren und daraus das Täterprofil erstellen konnten. Das kostete Zeit. Und das war den Vorgesetzten ein Dorn im Auge, auch wenn es oft anders dargestellt wurde. Viel Zeit kostete viel Geld. Aber anders ging es nun mal nicht, und es gab genügend Fälle, die nur mithilfe der Operativen Fallanalyse gelöst worden waren. Vor
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