Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
den Zeigefinger auf das Display ihres Smartphones. Die Schnellwahltaste hatte sie »Chef« genannt, so wie sie ihre Vorgesetzte immer nannte; denn so fühlte sich die Fellmis an: wie ein Mann.
Es klingelte nur zwei Mal.
»Was gibt’s, Miller? Machen Sie’s kurz. Ich bin nur drangegangen, weil ich hoffe, dass Sie mich nicht ohne guten Grund stören.«
Fran stöhnte innerlich. In der Zeit, die Fellmis’ Sermon gedauert hatte, hätte sie ihr Anliegen schon längst vorbringen können. »Der Friedhof. Ich brauche eine richterliche Anordnung für die Düsseldorfer Real-Investment Bank. Die mauern komplett. Ich muss Solderwein durchleuchten.«
Auf der anderen Seite blieb es einen Moment still. Fran dachte schon, die Verbindung sei unterbrochen, aber Fellmis meldete sich mit einem Schnauben zurück, das jedes weitere Wort ihrer Chefin eigentlich unnötig gemacht hätte. Doch die Fellmis ließ es sich nicht nehmen, einen Rüffel hinterherzuschicken. »Sind Sie jetzt vollkommen durchgedreht, Miller? Was glauben Sie, was los ist, wenn Sie in der Düsseldorfer Real-Investment Bank mit einem Beschluss auflaufen? Was glauben …«
Fran unterbrach Fellmis. »Dann passiert gar nichts. Vorausgesetzt, wie Sie schon sagten, ich gehe dorthin zusammen mit Benjamin Haller. Und sonst niemand. Und niemand erfährt davon. Wenn ich nicht mehr über Solderwein erfahren kann, kann ich nicht ausschließen, dass der Anschlag …«
»Sie drohen mir?« Fran zuckte zusammen, so laut schoss Fellmis’ Stimme aus dem Telefon. »Wir sprechen uns noch«, warf sie hinterher.
Fran erkannte, dass sie einen Fehler gemacht hatte. Die Verbindung war unterbrochen. Fran glühte vor Wut und schwitzte.
»So eine verfluchte Scheiße!« Sie starrte ihr Smartphone an, beschloss aber, es nicht in hohem Bogen wegzuwerfen, sondern steckte es wieder in den Rucksack.
»Sie war nicht begeistert, oder?« Senior legte ihr eine Hand auf die Schulter.
Fran schüttelte sich. »Lass das jetzt«, bellte sie und sprang auf. »Verdammt, wie soll ich arbeiten, wenn alle gegen mich sind? Wenn diese Großkopferten nichts als ihre Zahlen und ihre Karriere im Kopf haben …«
Senior hob die Augenbrauen. »Logisch. Aber es ist, wie es ist. Dagegen kommst du nicht an. Der Apparat ist stärker.«
»Das macht doch keinen Sinn! Diese Messe ist keine Kleinigkeit, das kann eskalieren, wir müssen fragen, forschen, Antworten finden, Schlimmeres verhindern. Immer wird so lange gewartet, bis jemand tot ist, und dann tun alle so, als sei der Täter vom Himmel gefallen.«
Fran spürte Tränen aufsteigen. Als sie hier angefangen hatte, war alles anders gewesen. Es hatte keinen Chef gegeben, es hatte keine Hürden gegeben, im Gegenteil, der Innenminister persönlich hatte eine Rede gehalten, in der er die Bedeutung der Operativen Fallanalyse hervorgehoben hatte und der Abteilung seine volle Unterstützung zugesagt hatte. Was wardavon geblieben? Sie forschten sich die Köpfe wund, erstellten hin und wieder mal ein Profil, die Anerkennung steckten andere ein, sie ackerten sich durch Altfälle, die zum Teil so verbockt waren, dass man beim besten Willen keine sauberen Ergebnisse erzielen konnte. Asservate fehlten, Akten fehlten oder waren schlampig angelegt, Spurenträger waren unsachgemäß gelagert und so weiter und so fort. Vielleicht sollte sie doch in die Wirtschaft gehen und Einstellungstests entwickeln? Ihre Nackenhaare stellten sich auf. Nein, niemals. Sie durfte nicht aufgeben. Allein schon deshalb, weil ihr Vater ihr genau das prophezeit hatte: »Du glaubst wohl, du bist schlauer als ich und der Rest der Welt? Na, du wirst noch früh genug auf die Schnauze fallen. Und dann beschwer dich nicht, ich hätte dich nicht gewarnt!« Sie atmete drei Mal tief ein und aus.
»Okay, Senior. Entschuldige.« Sie schaute auf die Uhr. »Ich brauche frische Luft. Es ist eh schon spät. Wir machen morgen früh weiter. Okay?«
Senior nickte nur, packte seine Sachen und verabschiedete sich.
Fran beruhigte ihren Atem, presste sich die Hände an die Schläfen. Sie musste lernen, ihre Wut unter Kontrolle zu bekommen. Immer wieder brach sie durch, zerstörerisch wie ein Tsunami. Wenn die Wut kam, konnte sie nicht mehr klar denken, und das war nicht akzeptabel. »Du musst einen anderen Weg finden«, murmelte sie. Langsam verzog sich die Wut. Sie schloss die Augen und ließ sich alles durch den Kopf gehen, was sie heute gesehen und gehört hatte. Die Bilder rasten an ihrem inneren Auge
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