Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Eine Haut wie feinstes handgeschöpftes helles Papier. Ich nehme das Skalpell. Jetzt beginnt das Spiel der Spiele!
8. Freitag
Fran fühlte sich wie gerädert. Sie war zwar sofort eingeschlafen, aber die ganze Nacht über hatten sie Albträume heimgesucht. Zuerst war sie in Strudeln von Postkarten ertrunken, dann war ihr Vater immer wieder über sie hergefallen, nötigte sie, Postkarten aufzuheben und zu küssen, er hielt ihren Arm wie ein Schraubstock, und nur im letzten Moment hatte sie sich befreien können. Wenn das so weiterging, würde sie sich wieder eine Therapeutin suchen müssen. Aber davon durfte niemand erfahren. Zu schnell wäre sie ins Abseits geraten, zu schnell hätte man ihr nachgesagt, sie hielte den Stress ihres Berufs nicht aus. Und mit tödlicher Sicherheit hätte ihr Vater es erfahren.
Sie machte sich auf den Weg zu Senior und der MOKO Boot, fuhr aber zuerst ins LKA und besuchte eine gute Bekannte, die im DNA -Labor arbeitete, und gab ihr die Postkarte, mit der Bitte, sie so schnell wie es irgend ging zu bearbeiten. Dann fuhr sie weiter zur Festung, wie das Polizeipräsidium im Jargon der Polizei hieß.
Die Festung brummte bereits wie ein Bienenstock, der Pförtner ließ sie ungehindert passieren, sie stellte sich in den Paternoster und fuhr hinauf zum Kriminalkommissariat 11, das zuständig war für Mord und Totschlag. Sie fand Senior in seinem Büro, an dessen Tür ein DIN -A4-Zettel mit Tesafilm aufgeklebt war. » KHK Benjamin Haller, MOKO Boot« stand darauf. Fran klopfte an die offen stehende Tür, Senior hielt sein Handy ans Ohr gepresst, winkte sie herein und zeigte auf einenStuhl. Er beendete das Gespräch mit einer langen Danksagung, dann wandte er sich Fran zu.
»Na, alles klar?« Seine Stimme klang wie immer freundlich und verbindlich. Nichts deutete darauf hin, dass er verstimmt war wegen gestern.
»Alles klar, melde mich zum Dienst.«
Senior griff in seine Schreibtischschublade und gab Fran Waffe, Holster und Dienstausweis.
»Willkommen zurück. Wollen wir?«
Er stand auf, Fran folgte ihm in den KR 2, einen großen Konferenzraum, der mit derselben Technik ausgestattet war wie der Teamraum ihrer Abteilung.
Sie zeigte auf das interaktive Whiteboard.
»Ich dachte, ihr arbeitet immer noch mit Flipchart und Filzstift?«
Senior lachte. »Ist noch nicht lange her, dass wir das Ding bekommen haben. Du kennst mich ja, eigentlich hasse ich Technik, aber das Board würde ich nicht mehr freiwillig hergeben.«
Herz kam auf sie zu und schüttelte Fran die Hand. »Schön, dich zu sehen. Gut geschlafen?«
»Ehrlich gesagt, nein. Ich hatte furchtbare Albträume.«
Fran war gespannt auf Herz’ Reaktion. Würde er rumstottern, weil er nicht mit einer echten Antwort gerechnet hatte?
»Haben die was mit dem Fall zu tun?« Er lächelte freundlich.
Damit hatte Fran nicht gerechnet. »Nein, es geht um Familiäres.«
»Möchtest du darüber reden?«
Fran schluckte. »Im Moment nicht, aber danke, dass du fragst.«
»Kein Problem«, sagte Herz und zeigte auf einen Stuhl. »Können wir anfangen?«
Herz war wirklich ein netter Kerl. Zu nett, um für Fran interessant zu sein.
Senior und Fran nahmen Platz. So wie es aussah, hatte Senior Herz zur Aktenführung eingeteilt, aber es mussten noch ein oder zwei Personen mitgeholfen haben, denn alle Ergebnisse, die bis jetzt vorlagen, waren digitalisiert.
»Ich fasse zusammen«, sagte Senior und dimmte mit einer Fernbedienung das Licht.
Auf dem Whiteboard erschien ein verwaschenes Schwarz-Weiß-Bild. Eine schwarz vermummte Person hielt seinen Mittelfinger in die Kamera. Von seinem Gesicht war nichts zu erkennen. Er war schlank, einen Meter achtzig groß, die Techniker hatten das auf den Zentimeter genau errechnen können. Das Bild wechselte, bewegte sich und zeigte das Phantom, als es unter die Plane des Bootes kroch, wieder herauskam und die Sticker am Rumpf anbrachte. Der Film brach ab.
»Er hat die Bombe um drei Uhr siebenundfünfzig gelegt. Eine Zeitbombe, einfach, aber effektiv konstruiert, der Bauplan ist im Internet nachzulesen. Kann jeder nachmachen, der ein wenig technischen Verstand hat«, sagte Senior.
Herz atmete hörbar ein. »Der Mann ist gefährlich.«
Niemand widersprach.
Fran schauderte.
»Jetzt zu Bredows.« Senior drückte eine Taste.
Bredows’ Gesicht erschien, es sah aus wie ein verschimmelter Kuchen. Von Bredows aus lief ein Pfeil zu dem Logo der Spedition von Joachim Keller. Darüber stand: »Arbeitgeber«. Senior
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