Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
Der Hautfetzen, in den das Tattoo gestochen worden war, hatte noch etwas gezeigt. Fran hatte es für sich behalten, weil sie der Obduktion nicht vorgreifen wollte. Der Mann war höchstwahrscheinlich mit Elektroschocks gefoltert worden. Sie hatte dunkle Flecken gesehen, die zwar verwischt waren durch die Gewebeauflösung, aber nicht genug, um zu verbergen, dass diese Flecken von Strom verursachte Brandmarken waren.
»Was ist los?« Senior stupste sie sanft an der Schulter. »Du siehst aus, als hättest du ein Gespenst gesehen. Soll ich fahren?«
Fran seufzte. »Geht schon.« Sie zögerte einen Moment. »Versprich mir, dass du das erst mal für dich behältst.«
»Kein Problem, das weißt du doch.«
»Der Mord an Bredows ist von langer Hand geplant und über die Tat hinaus noch abgewickelt worden.« Fran blinkte rechts und hielt an.
»Keine Frage.«
»Das Opfer war ein alleinstehender Mann.«
»Ja und? Was willst du mir sagen, Fran?« Seniors Stimme bekam einen ungeduldigen Unterton.
»Ich glaube, dass Bredows das Opfer eines Serientäters ist.«
Senior schnalzte mit der Zunge. »Da lehnst du dich ganzschön weit aus dem Fenster. Wenn die Medien davon Wind bekommen …«
»Ich weiß.«
Eigentlich müssten sie sofort in diese Richtung ermitteln, die MOKO auf mindestens dreißig Mann aufstocken und, ja, die Medien informieren, warnen, dass da draußen ein Killer herumlief, der seine Opfer folterte, bevor er sie tötete. Aber sie hatte keine Fakten in der Hand. Nur ihren Instinkt. Der Täter hatte zuerst versucht, die Leiche zu verstecken, und dann legte er sie der Polizei vor die Füße. Das war nicht sein erstes Opfer. Und es würde nicht sein letztes sein.
»Dir ist klar, dass ich nicht die Pferde scheu machen kann, im Moment. Das wäre Selbstmord«, sagte Senior, als hätte er ihre Gedanken gelesen.
»Er wird wieder zuschlagen. Er foltert seine Opfer. Hast du die Brandmarken gesehen?«
»Brandmarken? Jetzt mach mal halblang. Diese dunklen Flecken können alles Mögliche sein.« Er sah sie eine ganze Weile an, hustete einmal in seine rechte Faust. »Fran, du solltest nicht überinterpretieren. Du hast ganz richtig festgestellt, dass du nur Möglichkeiten aufzeigen kannst, nicht mehr. Die Fakten sagen: Wir haben einen Toten. Ich glaube zwar, dass es Mord war, aber einen Beweis haben wir noch nicht. Ebenso wenig ist erwiesen, dass der Mann gefoltert wurde, geschweige denn, dass ein Serientäter am Werk ist. Du weißt, wie selten Serienmorde sind und wie erfindungsreich Menschen sind, wenn sie jemanden verschwinden lassen wollen.«
Fran schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie Brandmarken aussehen. Bruno hat mich lange genug geschult! Der Modus Operandi spricht eine deutliche Sprache. Er sucht sich Opfer, die nicht vermisst werden, weil er dafür sorgt, dass sie spurlos von der Bildfläche verschwinden. Er will sie für sich haben, inaller Ruhe. Er will sie besitzen, er spielt Gott. Wir haben bis jetzt keine weiteren Opfer gefunden, weil er intelligent ist, weil er bis heute keine Spuren hinterlassen hat. Bevor er sich dazu entschieden hat, uns Bredows zu präsentieren, muss er sich gut informiert haben. Er wusste, dass die Miete für den Bootsplatz für fünfzehn Jahre bezahlt war. Er kennt sich aus! Er stammt von hier! Begreifst du das?« Fran atmete heftig ein.
»Immer mit der Ruhe, Fran. Das klingt alles sehr gut, und es kann sein, dass alles stimmt. Aber zuerst ermitteln wir, und dann ziehen wir Schlussfolgerungen. Sonst kriegen wir echte Probleme.«
Fran schüttelte widerwillig den Kopf. Vielleicht vergaloppierte sie sich ja wirklich, aber auch wenn die Fakten mager waren, sie reichten ihr aus, um wenigstens mit einem kleinen Team aktiv zu werden, auch wenn sie zugeben musste, dass der Ermittlungsansatz unkonventionell war. Aber genau deshalb war sie doch hier, oder etwa nicht?
»Warum verschwende ich meine Zeit, wenn du doch nur Dienst nach Vorschrift machst? Ich liefere dir einen Ermittlungsansatz, der Hand und Fuß hat, der ungewöhnlich ist, ja, der mehr auf Intuition beruht als auf hundert Fakten. Du weißt doch selbst, wie trügerisch Indizien sein können. Wir sollten alle Speditionen abklappern, sollten jede Firma fragen, ob in der letzten Zeit jemand wegen schwerer Krankheit gekündigt hat …«
»Stopp!« Senior machte ein Gesicht, als habe sie ihn angespuckt. »Wir sind nicht im Fernsehen. Wir werden keine Ressourcen verschwenden. Wir werden nicht überreagieren. Wir werden unsere
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