Der Schmerzsammler: Thriller (German Edition)
wieder bewegen zu können.
Mutter konnte nicht tot sein. Sie hatten das nur behauptet, um ihn besser weich kochen zu können. Vielleicht hatten sie sie sogar umgebracht, als Hexe verbrannt. Tausende waren der Inquisition zum Opfer gefallen, und noch immer beherrschten die verblendeten Christusjünger fast die ganze Welt.
Er spürte Panik in sich aufkommen, aber er riss sich zusammen, damit die Ärzte nicht bemerkten, dass er wach war. Er spürte eine Fessel um das rechte Handgelenk. Wie ein wildes Tier hatten sie ihn festgebunden, aber er war doch der Erlöser! Wenn Luzifer über diese Welt herrschte, gab es keinen Platz mehr für Lüge, für Verbrechen, für Korruption. Die Menschen würden aufwachen, würden sich eine Welt schaffen, wie sie es wollten, frei von allen Fesseln. Und Luzifer würde als milder und gerechter Herrscher die Schicksale der Menschen lenken. Um ihn davon abzuhalten, Luzifer zu rufen, war seinen Gegnern jedes Mittel recht. Sie würden von ihm verlangen, sein Vorhaben aufzugeben. Er musste kämpfen, er musste eine Möglichkeit finden zu fliehen, seine Mutter zu befreien. Er schloss die Augen. Bisher war er davor zurückgeschreckt, aber ihm blieb keine andere Wahl. Er musste die Kräfte der schwarzen Magie entfesseln, er musste Luzifer schneller beschwören, er musste eine Abkürzung gehen. Doch das war nicht möglich ohne ein Menschenopfer. Eiskalt lief es ihm über den Rücken. Aber letztlich war es jetzt egal. Die Seele des Menschenopfers würde eingehen in die Ewigkeit, würde ewigen Frieden und ewige Freude finden. Dennoch graute ihm davor, einen Menschen zu töten. Einem Huhn den Kopf abzureißen oder einem Hund die Eingeweide herauszureißen, das war heftig, keine Frage, aber einem Menschen das Leben zu nehmen war etwas ganz anderes, auch wenn es in diesem Falle nicht moralisch verwerflich war. Ob er stark genug sein würde, seine Pflicht zu erfüllen? Und wer würde essein? Luzifer würde ihm den Weg weisen, da war sich Lars sicher.
Jetzt musste er sich erst einmal Gedanken darüber machen, wie er aus diesem verfluchten Krankenhaus entkommen konnte. So wie er im Moment gefesselt war, hatte er absolut keine Chance. Er musste versuchen, während des Transportes vom Krankenhaus ins Gefängnis, in das sie ihn mit Sicherheit bringen würden, zu fliehen. Aber auf dem Weg hierher hatten sie ihm die Hände hinter dem Rücken gefesselt, und damit war er so gut wie wehrlos gewesen. Zwar hatte er dem einen Vermummten sein Knie in die Eier rammen können, aber es waren einfach zu viele gewesen. Sie hatten ihn in Sekundenschnelle überwältigt und niedergeschlagen. Was er jetzt brauchte, war Klarheit, Stärke und Geduld.
»Ich glaube, er ist wach.«
Das war die Stimme des jungen Arztes, die Lars hörte. Woran hatte der Arzt erkennen können, dass er wach war? Vielleicht an den Bewegungen seiner Augen?
»Herr Rüttgen, wir wissen, dass Sie wach sind. Wie geht es Ihnen? Haben Sie noch Kopfschmerzen?«
Langsam hob Lars seine Lider, aber entgegen seinen Erwartungen blendete ihn kein Licht. Der Raum war halb abgedunkelt, an ein paar Geräten sah er grüne und rote Lichter blinken. Wie lange hatte der Arzt an seinem Bett gestanden?
»Nein«, sagte Lars. »Ich nehme an, Sie haben mich mit Chemie vollgepumpt?«
Der Arzt lächelte, zog einen Stuhl ans Bett und setzte sich. »Wir haben Ihnen etwas gegeben, damit Sie sich beruhigen, wir haben etwas gegen die Schmerzen gegeben, das ist richtig, aber das ist eigentlich schon alles.«
Der Arzt war tatsächlich so jung, wie Lars es vermutet hatte, er sah aus, als sei er nicht viel älter als er selber. Obwohl daseigentlich nicht sein konnte. Ärzte mussten lange studieren, und bis sie dann wirklich als Arzt arbeiten konnten, vergingen manchmal zehn Jahre.
»Wie alt sind Sie?«
Der Arzt hob die Augenbrauen. »Ich muss zugeben, das ist die seltsamste Frage, die mir jemals jemand gestellt hat, nachdem er aus der Bewusstlosigkeit wieder aufgewacht ist. Aber ich will sie Ihnen gerne beantworten. Ich bin zweiunddreißig Jahre alt. Und jetzt beantworten Sie mir bitte meine Frage: Wie geht es Ihnen?«
Lars rüttelte sachte an seiner Fessel. »Reicht das als Antwort?«
»So habe ich das nicht gemeint. Wir kümmern uns hier ausschließlich um Ihren Körper. Haben Sie Schmerzen?«
»Nein.«
»Gut«, sagte der Arzt. »Es geht darum, dass ich entscheiden muss, ob Sie vernehmungsfähig sind.«
»Das bin ich. Ich brenne darauf, mit den Leuten zu sprechen, die
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