Der Schmetterlingsbaum
denen heldenhafte Butlers erfolgreich die hundert und aberhundert Kerzen in der riesigen, wie ein Juwel funkelnden Glaslampe an der Spitze ihres Turms anzündeten. Er erzählte uns von Schätzen, die nach solchen Stürmen von der Flut angeschwemmt wurden: Diamanten und Dublonen, Fußeisen ohne die Füße, eine vollständige Guillotine, intakt, Ballkleider ohne die Tänzerinnen, Kanister voller Teeblätter, die noch trocken waren, eine Katze mit Kätzchen (lebend!) und Fässer mit Rum, Whiskey, Sherry, Absinth, Portwein, Madeira, Rot-, Weiß-, Roséwein. Nach diesen Erzählstunden rannten wir zum Strand hinunter und kamen mit Eimern voll rundgeschliffener Glasscherben zurück, wunderschön bunt, aber, wie seine Geschichten, am Ende gänzlich nutzlos. Und doch wussten wir, vermute ich, instinktiv, dass sie alles waren, was uns Jahre später, nach einem Ereignis, das unsere Welt erschütterte, noch geblieben ist: harmlose Überreste von Schiffsfrachten, die zerschmettert und dann von Unwettern geglättet wurden – vergessene Zeugnisse von spektakulären Havarien.
Aber es gab eine folgenreiche Butler-Geschichte, eine düstere, selten erzählte, für uns umso faszinierendere. Mein Onkel weigerte sich eisern, die Geschichte auf Verlangen zu erzählen, bestand jedoch ebenso eisern darauf, dass wir alle zuhörten, wenn er den Zeitpunkt für richtig hielt; und der ergab sich fast immer auf einer Butler-Beerdigung, wenn er eine ordentliche Menge Alkohol intus hatte. Wissen Sie, die älteren Butler-Verwandten waren wie Wildblumen über die Felder zu beiden Seiten des Sees verstreut und verlebten die schwindende Zahl ihrer Jahre in Fachwerkhäusern, die wie ihre älteren Bewohner in verschiedenen Stadien würdevollen Verfalls waren. Nach Beerdigungen versammelten sich sämtliche Butlers, je nach der Staatsangehörigkeit des Verstorbenen, entweder auf dieser Farm oder auf ihrer Doppelgängerin am anderen Ufer. Ich glaube allerdings nicht, dass ich die Geschichte auf der amerikanischen Farm gehört habe, also wird mein Onkel wohl den Tod eines kanadischen Butlers zum Anlass dafür genommen haben.
Es war die Art von Geschichte, die sich stetig auf ihren Ausgang zubewegt, dann innehält und zum Anfang zurückkehrt, um noch einmal von vorn anzufangen, wie manche schwermütige Sonaten. Und es war eine Geschichte, die wir, weil sie von schroffen Felsen und grauer Vorzeit, von Prachtwetter und eigenartiger Architektur erzählte, unmöglich in unserer eigenen, ruhigen Landschaft unterbringen konnten. Es schien uns also naheliegend, dass der Rahmen dieser Erzählung Irland sei, das Stammland der Butlers. Es ging darin auch um den Tod von Kindern, und dass junges Leben an einem Ort, der so sicher und beständig war wie unsere Heimat, gewaltsam beendet werden könnte, glaubte niemand von uns. Unsere Friedhöfe waren zwar voll von Mädchen und Jungen, doch die hatten im neunzehnten Jahrhundert gelebt, und wir, Kinder des zwanzigsten, waren gegen katastrophale Überraschungen gefeit. Dachten wir jedenfalls. Die Butlers, die wir kannten, alterten beschaulich und einträchtig mit ihren Häusern, dann starben sie still und höflich kurz vor der Ernte.
»Erinnerst du dich an die Geschichte von den irischen Kindern im Leuchtturm?«
Auf diese Frage antwortete meine Mutter bereitwillig. »Oh ja«, sagte sie. »Es war Stanleys Lieblingsgeschichte, glaube ich, obwohl er sie nur erzählte, wenn er in Stimmung dafür war.«
Der erste in der langen Reihe von Leuchttürmen, zumindest nach Auskunft meines nicht immer akkuraten Onkels, stand auf der einen der beiden Skellig-Inseln, die vor der westlichsten Spitze von Südirland wie Tempel aus dem Meer ragen. Alles an diesem Leuchtturm war unglaublich und maßlos: die exponierte Lage, der Dauerregen, die extremen Baubedingungen, ja schon die absurd schwierige Landung mit Booten voller Baumaterial auf der Insel und dann der Aufstieg mit der Last aus behauenen Steinen, Schmiedeeisen, Glas, auf einem steilen, gewundenen Pfad. Und der gewaltige Wind, der die Arbeiter vom wachsenden Turm herunterpflückte, als wären sie Insekten, und entweder unten auf den Felsen zerschmetterte oder ins Meer schleuderte, wo ihre Leichen nie geborgen wurden.
Aber es hatte einen Vorläufer dieser erstaunlichen technischen Meisterleistung gegeben. Im sechsten Jahrhundert hatte sich eine kleine Gruppe sich kasteiender Mönche auf der höchsten Erhebung der dem Land zugewandten Seite der Insel angesiedelt. Natürlich, sagte
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