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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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verwilderte Wacholder die Weidenzäune verschlungen hat, auf denen wir als Kinder gern standen, um den Mexikanern bei der Arbeit zuzusehen. Ich fürchte, ich werde eine dieser Frauen werden, wie man sie manchmal in der Stadt beim Einkaufen sieht – zerzaust, leicht verrückt, geistig kaum anwesend und leise Selbstgespräche führend, während sie verwirrt den Einkaufswagen zur Gemüseabteilung schieben, eine Frau nicht unähnlich meiner Tante in ihren letzten Lebensjahren.
    »Wieso bestand er ausgerechnet auf ›Obstzüchter‹, möchte ich wissen«, fuhr meine Mutter fort, in Gedanken noch bei meinem Onkel. »Er war doch eigentlich kein Snob. Jeder, den er kannte, war Farmer. Jeder hatte einen landwirtschaftlichen Betrieb der einen oder anderen Art.« Sie warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. Es war fast Mittag. »Entweder das, oder die Leute lebten irgendwie vom See. Die Forellen, weißt du, waren wunderbar, als wir sie noch essen konnten. Und dann der Schiffsverkehr.«
    Wenn Sie sich unsere kleine Bucht anschauen, sehen Sie, dass der östliche Ausläufer aus Felsen und alten Weiden besteht. Einer der Alten Urure ließ dort einen stattlichen Kai anlegen, denn er wollte seine Äpfel persönlich über den See zu den Märkten in Cleveland oder Akron bringen. Aber ich glaube nicht, dass einer meiner unsichtbaren Nachbarn, wenn er von der anderen Seite herüberschaut, irgendwas anderes erkennt als eine natürliche Gegebenheit, wie es auch der westliche Ausläufer ist – ein paar Kalksteinplatten, die in den See ragen. »Little Point« sagten wir dazu.
    Als wir Kinder waren, bauten Teo und ich am Little Point unsere Papierschiffchen und ließen sie im flachen Wasser schwimmen. Ich weiß noch heute, wie sich das kühle Wasser an den Knöcheln und die glatten Steine unter den Fußsohlen anfühlten, und ich höre Teos Gelächter, als er mir die Wörter barco , Boot, und naufragio beibrachte.
    »Weißt du noch, wie Teo und ich am Little Point Schiffchen schwimmen ließen?«, fragte ich meine Mutter. »Wenn eines unserer Papierboote kenterte, nannte er das naufragio .«
    Sie blickte nur weiter auf die Uhr an der Wand und sagte nichts.
    Seltsamerweise hatte auch mein Onkel dieses Wort benutzt. Naufragio , hatte er gemurmelt, in gebrochenem Ton, dabei war es mehrere Jahre her, dass Teo und ich am Little Point gestanden und aus den Auktionsplakaten meines anderen Onkels kurzlebige Schiffe gefaltet hatten, und ich hatte das Wort seit damals auch von niemandem mehr gehört, weder von meinem Onkel noch von Teo, aber mir war sofort klar, dass es in diesem Moment die einzige treffende Beschreibung der Situation war. Dieses eine Wort, naufragio , ausgesprochen in einem provisorischen Raum, mit einer halb geleerten Weinflasche auf dem Küchentisch.
    Seitdem ich mich mit Mandys Gedichtsammlungen beschäftige, bin ich auf eine zweisprachige Ausgabe des chilenischen Dichters Pablo Neruda gestoßen und habe das Gedicht »La Canción desesperada« gelesen. Das Wort naufragio wird darin so zornig, so kummervoll verwendet und so oft wiederholt, dass mir die Aussage wie eine Anklage erscheint. Das Gedicht selbst spricht von glühenden Leuchttürmen und Schiffen, von Inseln und Küsten, Aufbruch und Verlassenheit und beschreibt für mich so präzise und anschaulich sowohl unsere Familie als auch die Geografie jener Nacht, dass es sich förmlich in mich eingegraben und sich so im Gedächtnis verankert hat, dass ich es schon nach dem ersten Lesen auf Englisch fast auswendig wusste. Und ich weiß auch um die düstere Unvermeidlichkeit dieses sehr wahren Ausrufs: »Todo en tí fue naufragio . « In Mandys Ausgabe war er so übersetzt: »Alles in dir ging unter.« Aber ich fand später noch eine andere Übersetzung, die mir lieber ist: »Alles in dir war Schiffbruch.«
    Unser Onkel erzählte uns Geschichten von Schiffbrüchen und anderen Katastrophen und Wundern auf See; Geschichten von ertrunkenen Matrosen, von Männern, die sich in Robben verwandelten, von plötzlich auftauchenden Meerjungfrauen. Er erzählte seine Geschichten hier auf dieser Farm so oft, dass wir schon halb überzeugt waren, all die Verhängnisse und Verwandlungen hätten im Wasser unseres Sees stattgefunden, den wir am Ende unseres Rasens glitzern sahen. Die Landschaft der Kindheit ist so begrenzt, und in unserem Fall war sie so schön, dass wir uns keine bessere Kombination von Wasser und Land als Hintergrund vorstellen konnten. Er erzählte uns von heulenden Stürmen, in

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