Der Schmetterlingsbaum
verleihen. Und doch spürte man den Willen aus ihm weichen, während er nach Nägeln suchte und in der Wand nach den Strebebalken, in die er sie hineinschlagen konnte. Am Ende wurde die ganze Aktion ein bisschen lächerlich und für uns, denen befohlen war, das Ende der Zeremonie abzuwarten, leicht peinlich. Es dauerte zu lang und war zu sehr von banalen Problemen behindert, um als mythische Geste zu taugen. Für das bloße Auge waren die Initialen des Ahnen unsichtbar, und die Missbilligung meiner Tante hing greifbar im Raum. Als er fertig war, sah er sein Publikum an, wie um einen Satz zu sprechen, den wir uns dann alle einprägen müssten, doch dann drehte er sich nur zum Kamin und strich die Putzkrümel, die sein Gehämmer verstreut hatte, sorgfältig mit der einen Hand vom Sims in die gewölbte andere. »Ich hab Dreck gemacht«, sagte er, vielleicht zu sich, vielleicht zu meiner Tante. Dann schloss er die Hand um die Krümel und verließ das Zimmer.
E r wollte als Obstzüchter bezeichnet werden«, sagte meine Mutter einmal. »Die Begriffe ›Farmer‹ oder ›Bauer‹ wurden ihm mit den Jahren immer unangenehmer, jedenfalls wenn sie sich auf ihn bezogen.«
Von ihren Fenstern im Golden Field blickt man, wie ich schon sagte, auf ein Einkaufszentrum und auf Reihenhäuser; von Feldern und Obstgärten ist in beiden Richtungen nichts zu sehen. An diesem Wintertag war überhaupt kaum zu erkennen, wie es draußen aussah, denn es ging ein starker Wind und die Luft war weiß von verwehtem Schnee.
»Sadie, weißt du, versuchte ihm immer begreiflich zu machen, dass das, was er tat, mehr mit Wissenschaft zu tun hatte als mit gewöhnlicher Arbeit.«
Ja, dachte ich, er hat seine Tätigkeit konsequent mit botanischen, chemischen, manchmal ästhetischen Begriffen beschrieben, er sprach von Bodenchemie, von Blüte-Frucht-Verhältnis, von Zellentransfer nach Veredelung, von der geschwungenen Linie des Astwachstums nach dem fachkundigen Schnitt. Meiner Tante oblag es, sich um das Praktische und das Finanzielle zu kümmern, und sie übernahm diese Aufgaben mit Enthusiasmus und letztlich auch Erfolg. Sie war selbst ehrgeizig: Auch sie liebte das Wort Farmer mit allen seinen Weiterungen nicht. Aber sie fanden beide keinen Ersatz für die Farm und benutzten das Wort unbewusst andauernd, es sei denn, einer von ihnen war sauer, oder sie stritten: Dann wurde aus der Farm » das hier« und manchmal auch »dieser gottverlassene Ort«. Jahre später hörte Mandy dieselbe Formulierung in einem Land, das Tausende Meilen entfernt war. Welches innere Echo mochten die Worte auf dem heißen, staubigen Militärstützpunkt ausgelöst haben? Stellte Mandy eine Verbindung zwischen ihren Eltern, dieser Farm und dem Mann her, der sie benutzte?
Sobald mein Onkel fort war, ging es mit der Farm natürlich bergab, und schneller, als man hätte meinen können. Die ersten zehn Jahre nach seinem Verschwinden waren sicher die merkwürdigsten in den seither vergangenen zwanzig, auch wenn keines dieser Jahre eine Struktur zu haben schien – obwohl natürlich das Leben auf regelmäßigen Erhaltungsmaßnahmen bestand, etwa dem Kauf neuer Kleider und Kosmetika und Zahnbürsten, auf der Reparatur von Fenstern, Wasserhähnen, Dächern, Autos. Wie ich schon sagte, wurden unten am See Parzellen abgetrennt und als Bauland verkauft. Es entstanden große, unschöne Häuser, und darin wohnen Leute, die weder meine Tante noch meine Mutter – und ich ebenso wenig – je kennenlernten. Von meinen Fenstern aus sehe ich keines von ihnen, denn das Farmhaus steht genau auf der Mitte der Küstenlinie einer kleinen Bucht, und die neuen Häuser wurden alle jenseits des sogenannten Alten Kais gebaut, wie wir als Kinder sagten. Manchmal bin ich froh darüber, denn ich schätze die Einsamkeit meiner Gegend, dieses Gefühl – das heute natürlich reine Illusion ist – , ich lebte allein am Ufer des großen Sees. Aber zu anderen Zeiten, wenn ich das Gefühl habe, zu tief in der Vergangenheit zu versinken, wäre ich froh, wenn ich es fertigbrächte, Teil einer Gemeinschaft von Nachbarn zu werden, wie es meine Mutter gehofft hatte, wäre froh, wenn ich wüsste, wie man sich im Garten über den Zaun lehnt, um zu besprechen, was im Ort so alles passiert, ja sogar mit einer gewissen Anteilnahme und Begeisterung die Kunst des Tratschens zu pflegen.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass mich die Vergangenheit lebendig auffrisst, mich genauso verschlingt, wie der inzwischen völlig
Weitere Kostenlose Bücher