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Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
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über den Tag hin ein komplexes Versteckspiel entwickelt. Es ging schon seit Stunden und schien von eben jenem Drang nach Bewegung getrieben zu sein, von dem mein Onkel gesprochen hatte. Es musste nichts erklärt werden. Die Annahme, dass dieses typische Kindheitsspiel, das auf Jagd, Tarnung und List beruht, sich instinktiv erschließt und universell bekannt ist, erwies sich als richtig, zumindest in Teos Fall, und er schloss sich dem Suchen freudig an.
    Mandy und ich waren auf der Veranda und wuschen unsere Puppenkleider in einer alten Zinkwanne, die meine Tante uns bis auf Weiteres, solange sie keine Zeit fand, sie weiß zu lackieren und mit Geranien zu bepflanzen, geliehen hatte. Wir hatten auch eine Wäscheleine zwischen einem Verandapfeiler und einem Baum gespannt, und daran flatterten mehrere Miniaturkleider wie Wimpel im auflandigen Wind. Mandy war völlig in Seifenlauge und Baumwolle vertieft, aber ich war von den Jungs abgelenkt, die von den Nachbarfarmen herübergekommen waren. Da ich selbst keine Brüder hatte, ging mir in den Sommerferien immer wieder die Frage durch den Kopf, wie diese Jungen wohl dachten, wie sie, wenn sie unter sich waren, ihre Tage gestalteten, wie sie lernten zu kooperieren, sich wortlos zu verständigen, sich geschlossen wie eine kleine Armee von einem Ende des Gartens zum anderen zu bewegen, während sich Teo in der Nähe herumdrückte, knapp außer Reichweite. An dem fraglichen Vormittag sah ich Teos Gesicht vor Freude aufleuchten, als ihm mit einzelnen Wörtern und verschiedenen Gesten erklärt wurde, dass er jetzt an der Reihe sei, sich zu verstecken. Die Vorstellung, gesucht zu werden, einmal im Mittelpunkt zu stehen, muss ihm gefallen haben. Dass er sich verstecken durfte, verlieh ihm Schwung und Bedeutsamkeit.
    Ich beobachtete, wie er zwischen zwei Zedern hindurchschlüpfte und im Wald verschwand, den wir so gut kannten, während sich Don und Shane und die anderen einander gegenüberstellten und bis hundert, dann zweihundert, dann dreihundert zählten, die Zahlen laut im Chor riefen – »zweihundert eins , zweihundert zwei … «. Schließlich lösten sie ihre Formation auf, drehten sich um und schlenderten lässig hinters Haus, wo ich sie nicht mehr sehen konnte. Aber bald hörte ich den dumpfen Knall eines Schlagstocks, der einen Ball trifft, gefolgt von Rufen und Lachen.
    Mir schnürte es das Herz zusammen, und meine Beklommenheit wuchs mit jedem Mal, wenn ich den harten Schlag hörte, den das Zusammentreffen von Holz und Leder erzeugt. Kein gelbes Baumwollpuppenkleid mit blauen Paspeln in warmer Seifenlauge konnte mich von dem Verdacht ablenken, der wie ein Finger meine Wirbelsäule hinaufkroch. Vielleicht lassen sie ihm einfach einen Vorsprung, sagte ich mir, geben ihm mehr Zeit, um das perfekte Versteck zu finden, geben ihm eine Chance, zu gewinnen. Aber dann drangen wieder das brutale Geräusch von Eichenholz und sattem Lederball, Gelächter, sogar Beifall zu mir. Warum suchten sie ihn nicht? »Werden sie ihn nicht suchen ?«, fragte ich Mandy. »Müssen sie ihn nicht jetzt suchen?«
    »Wen?«, fragte sie, feuchten Stoff auswringend; dann fiel es ihr wieder ein. »Ach … ich weiß nicht. Ist egal.« Die Jungen, mit denen sie Tag für Tag zusammenlebte, interessierten sie offensichtlich nicht. So wenig wie deren Freunde. »Blöde Jungs«, sagte sie geistesabwesend.
    Er kommt zurück, dachte ich. Er kommt zurück und versucht das Mal zu erreichen, um sich freizuschlagen, bevor er entdeckt wird. Aber ein Junge, den ich nicht kannte, ein bisschen älter als der Rest, saß am Fuß des als Mal bestimmten Baums und las ein Comicheft, und ich begriff, dass er nur zu dem Zweck dort saß, diesen kleinen Triumph auf jeden Fall zu verhindern.
    Eine Stunde nach dem Mittagessen machte ich mich schließlich allein auf den Weg, um ihn zu suchen. Die Jungs und Mandy schwammen im See, und die Nachbarskinder waren mit dem Fahrrad nach Hause gefahren. Shane rief vom See aus meinen Namen, und meine Mutter hob sich halb aus dem Liegestuhl und sah mich mit verwirrter Miene an. »Himbeeren«, rief ich ihr im Davongehen zu und vergaß, dass ich keinen Eimer dabeihatte. Falls es ihr auffiel, sagte sie nichts dazu, sondern winkte mir mit einer Hand nach.
    Der Waldboden war mit kleinen Felsbrocken gesprenkelt, die wahrscheinlich zurückgeblieben waren, als der ältere, größere See sich zu dem stabilen Becken zusammengezogen hatte, an dessen Rändern unsere ausgedehnte Familie lebte und

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