Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schmetterlingsbaum

Der Schmetterlingsbaum

Titel: Der Schmetterlingsbaum Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jane Urquhart
Vom Netzwerk:
füllen. Die Straße zwei Felder hinter dieser Farm heißt Konzession 1, die Straße zum See aber nennt sich Butler’s Line oder, je nach Gesprächspartner, Butler’s Sideroad. Die ehemalige Point Road wurde erst 1930 , als die Vogelpopulation am Point, fünf M eilen weiter östlich, für schutzwürdig erklärt wurde, in Sanctuary Line umbenannt.
    Mein Urgroßonkel Gerald Butler, der »in einem Anfall von Scham«, wie mein Onkel sagte, die Südstaaten verlassen hatte, muss die alte Point Road entlanggeritten sein, um zu seinem neuen Arbeitsplatz zu gelangen, und es gab ein paar interessante Geschichten aus seiner dortigen Amtszeit. Mein Onkel aber erzählte vor allem eine Geschichte, nämlich die von den Gründen, die ihn bewogen, Amerika zu verlassen, und er erzählte sie mehr als einmal, wahrscheinlich weil, wie er mal behauptete, die Butlers in Ironie und Tragödie gleichermaßen verliebt waren.
    Die zwei verbleibenden Söhne von Butler-dem-Auge waren, offensichtlich entmutigt von der Armut und dem Elend der nach der Hungersnot entvölkerten Welt der Grafschaft Kerry, von Tralee aufgebrochen, um in der Neuen Welt ihr Glück zu suchen. Die Überfahrt war schwierig genug gewesen, und als sie in New York ankamen, hatten sie Heimweh, Hunger, Schiffscholera und eine Serie derart bösartiger Unwetter auf See überlebt, dass ihre Furcht vor den Unbilden des Wetters, die ursprünglich natürlich vom Wissen um das Schicksal ihrer unbekannten Geschwister herrührte, sich verhundertfachte. Der eine Bruder, mein Ururgroßvater, zog schließlich weiter nach Oberkanada, denn er hatte gehört, am Ufer des Eriesees sei gutes Land zu bekommen. Ein anderer Butler, ein Urgroßonkel, der wie mein Vetter Shane hieß, blieb auf ähnlichem und, wie sich erwies, besserem Land am Südufer desselben Sees, wo er sich niederließ und die amerikanische Linie der Butlers begründete. Ein dritter, der erwähnte Gerald, folgte der Berufung seines Vaters. Da er wusste, dass es im Süden der nördlichen Kontinenthälfte warm war, glaubte er, es müsse dort auch windstill sein, überwand also seinen Widerwillen gegen den Zorn der Elemente und nahm einen Posten als Leuchtturmwärtersgehilfe am Mosquito Inlet in Florida an. Dort war er zwar nicht Oberwärter – diese Position besetzte ein mit einer wachsenden Kinderschar gesegneter Landsmann aus Irland – , aber gleichwohl ein Leuchtturmwärter, der gelegentlich, wenn der Oberwärter sich freinahm, um sich den Forderungen des Familienlebens zu widmen, die alleinige Verantwortung für den Betrieb des Leuchtturms übernahm.
    Gerald las gern, und ermutigt hatte ihn dazu der Pfarrer der irischen Kirche auf der Insel Valentia, ein belesener Mann, der selbst Gedichte schrieb und Besitzer einer ansehnlichen Bibliothek war, die er gern mit bücherinteressierten jungen Menschen teilte. Gerald hatten es besonders die Mordlust und die Liebesromanzen in den Büchern von Walter Scott angetan – sein Lieblingsroman war Das Herz von Midlothian – , aber er liebte auch die Verschrobenheiten der Figuren von Charles Dickens. Als Jugendlicher zog es ihn eine Zeitlang zu Trollope hin, vor allem zu dessen in Irland angesiedelten Romanen, doch später, als er sich auf den Weg nach Amerika machte, beeindruckten ihn die Geschichten aus James Fenimore Coopers Lederstrumpf-Reihe und die – größtenteils erfundene – Eingeborenen- und Kolonialwelt, in die sie ihn Seite um Seite entführte.
    »Lesen war der perfekte Zeitvertreib für einen Leuchtturmwärter«, pflegte mein Onkel zu sagen. Ein Buch konnte man leicht in einer Hand halten – in der anderen befand sich wahrscheinlich eine Laterne – , und die Geschichten darin nahmen den langen einsamen Stunden auf Posten die Langeweile. Deshalb war Gerald sehr erfreut, als er nach Antritt seines Dienstes am Leuchtturm von Mosquito Inlet feststellte, dass der Turm, in dem er so oft die Stufen hinauf- und hinuntersteigen würde, von einem gewissen Francis Hopkinson Smith entworfen worden war, einem Maler, Ingenieur und Autor von Werken wie Alte Linien in neuem Schwarzweiß, Eingefahrene Straßen und Ein weißer Schirm in Mexiko . Wie ich schon sagte, hatte sich Gerald mit der amerikanischen Literatur vertraut gemacht, und während der Überfahrt an Bord dieses trostlosen Schiffs, das ihn in die Neue Welt brachte, hatte er sich bereits in die Geschichten von Washington Irving versenkt, und Rip Van Winkle hatte es ihm wegen seiner Eigenbrötlerei angetan und wegen seiner

Weitere Kostenlose Bücher