Der Schmetterlingsthron
er. »Ich bin Harichumbra, Euer unwürdiger Ratgeber.«
Sie folgten Harichumbra durch eine Reihe von Sälen und Höfen, bis Jorian hoffnungslos die Orientierung verloren hatte. Vor Jahrhunderten hatte ein mulvanischer König den gesamten Palasthügel an der Spitze einebnen und diesen Palast errichten lassen, der fast die Größe einer kleinen Stadt erreichte. Hof um Hof war angefügt worden, bis die gesamte Hügelkuppe innerhalb der Außenmauer in rechteckige Innenflächen unterteilt war, die sich in ihrer Größe ziemlich unterschieden.
Die Gebäude, die diese Höfe trennten, waren lang und schmal und hatten zumeist zwei Obergeschosse. Sie waren Wunder mulvanischer Architektur. In den meisten Höfen hatte man sich Mühe gegeben, die Mauern auf allen vier Seiten zu einer künstlerischen Einheit zu verbinden. So gab es stets einheitlich gemusterte Höfe, rot und weiß oder weiß und schwarz oder andere Farbkombinationen. Überall gab es Bögen – einfache Halbkreise, Spitzbögen, Bogensegmente, Korbhenkelbögen, gotische Bögen, hufeisenförmige Bögen und abgestufte Bögen in jeder denkbaren Mischung. Sie fanden sich über riesigen Toren und gewöhnlichen Türen und Fenstern. Kleine Balkons waren hier und dort in den Obergeschossen angebracht. Breite Vorbauten der flachen Dächer boten Schutz vor der brennenden tropischen Sonne. Kuppeln, Spitztürme und Aussichtsbalkons erhoben sich von den Dächern.
Überall waren Skulpturen zu sehen und Einlegearbeiten in Perlmutt und farbigen Steinen – es wurden Blumen, Tiere, Helden und Götter dargestellt. Sprüche, die früheren Königen und heiligen Männern zugeschrieben wurden, waren in Steinbänder gemeißelt oder in Metall oder Edelsteinen eingelegt.
»Dies sind Eure Räume«, sagte Harichumbra und deutete auf ein Gebäude, dessen Obergeschoß mit anmutig geschwungenen Marmorschirmen versehen war, so dass der Wind hindurchwehen, aber niemand von außen hineinsehen konnte. »Ihre Majestät wird das Hauptzimmer am Ende des Gangs bewohnen, ihre Damen dieses Zimmer, und Ihr, meine Herren, seid hier …«
Er führte die Gäste herum. »Wenn Ihr Euch ausgeruht und erfrischt habt, komme ich zurück. In einer Stunde? Oder später? Wie Ihr wünscht. Ich rufe nun die Dienerschaft, die sich Eurer annimmt.«
Er klatschte in die Hände, und eine Gruppe Frauen und mehrere Männer erschienen an einer Tür. Mit tiefer Verbeugung zog sich Harichumbra zurück.
Wenig später saßen Jorian und Karadur an den gegenüberliegengenden Enden eines riesigen Badebottichs, während hübsche mulvanische Mädchen ihnen den Rücken einseiften.
Karadur sagte auf Novarisch: »Soweit ganz gut, mein Sohn. Die Sache mit der Eskorte hat bestens geklappt.«
Jorian knurrte: »Bis auf das verdammte Pferd, das keine Steigbügel hat. Hast du eine Ahnung, warum nicht? Solche Dinger sind in den Zwölf Städten doch schon seit Jahrhunderten bekannt.«
»Die Mulvanier sind stolz darauf, die alten Sitten zu bewahren, und kümmern sich nicht um Apparate, die von Barbaren ersonnen wurden. Hast du die Elefantenpumpe vor dem Palast gesehen?«
»Gewiss – eine hübsche Vorrichtung.«
»Nun, sie wurde von König Shajus Großvater installiert, König Sivroka, und ist seither ein Quell großer Befriedigung. Aber wenn Unzufriedenheit gegenüber dem regierenden Monarchen aufkommt, heißt es stets: Vernichtet diese schlimme ausländische Apparatur, die ehrliche Wasserträger ihres Einkommens beraubt! Wenn die Pumpe ihren Geist aufgibt, wird sie bestimmt nicht repariert oder neu gebaut.«
»Und dann wundern sich die Mulvanier, warum sie immer wieder angegriffen und besiegt werden. Als ich noch König in Xylar war, habe ich immer versucht, auf dem laufenden zu bleiben.«
»Und was hat dir das genützt, mein Sohn?« fragte Karadur leise. »Ich würde dir übrigens raten, deinen Bart abzunehmen.«
»Bei Zevatas, ich habe mich an das Ding gewöhnt!«
»Aber in Mulvan ist Barttracht nicht gern gesehen – du solltest dich darauf einrichten.«
Zwei Stunden später kehrte der Berater zurück. »Meine Herren. Es ist meine erste Aufgabe, Euch in den Regeln zu unterrichten, die hier am Hofe des Königs der Könige gelten. In welche Klasse gehört Ihr in Eurer Heimat?«
»Zum unteren Adel.«
»Die Art und Weise, wie Ihr andere begrüßt und mit ihnen sprecht, wird von Eurem Rang und dem Eures Gesprächspartners bestimmt. In anderen Worten – es gibt unterschiedliche Begrüßungsformen, je nachdem, ob Ihr mit
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