Der Schmetterlingsthron
eine Art Mensch wäre Shaju, wenn er nicht König sein müsste?«
Karadur zuckte die Achseln. »Das Amt formt den Mann, wie der Mann das Amt formt. Aber soweit ich König Shaju kenne, würde ich sagen, er wäre ein wohlmeinender, durchschnittlicher Bürger – ein guter Kerl, aber langweilig. Natürlich kann er grausam und gewalttätig sein und hatte keine Bedenken, bei seiner Thronbesteigung einige Brüder umzubringen. Aber das ist nun mal die Königswürde.«
Die öffentliche Audienz war ein interessantes Beispiel für die mulvanischen Hofregeln. Jedes Wort, jede Geste war mit Harichumbra eingeübt worden, und die Antworten des Großen Königs wirkten nicht minder einstudiert.
Shaju saß am Ende eines langen Saals auf einem goldenen Thron. Weihrauch schwebte durch die Luft; hinter einem Wandschirm spielten Musiker.
Jorian und seine Mädchen folgten dem Saaldiener und warfen sich in der vorgeschriebenen Entfernung vor dem König zu Boden, während sich Königin Mnevis als gleichgestellte Herrscherin nur tief verbeugte. Als sie noch vorgebeugt verharrten, erklang ein Knirschen. Jorian blickte auf: der Thron hatte sich samt König Shaju auf einer Säule zwei Fuß über seine normale Höhe erhoben. Mit krachendem Gewinde sank der Sitz schließlich wieder auf die frühere Höhe ab.
Der Thron war ein eindrucksvolles Gebilde. Seine Rückenlehne hatte die Form eines riesigen mannshohen Schmetterlings. In den Flügeln des Insekts, die aus einer Art Goldflitter bestanden, bildeten schimmernde Juwelen die Zeichnung eines bunten Schmetterlings nach.
König Shaju war größer als die meisten Mulvanier, aber trotzdem noch fast einen Kopf kleiner als Jorian. Er war nicht mehr ganz jung und etwas zu dick und hatte ein glattrasiertes Kinn und einen langen, herabhängenden Schnurrbart. Er wirkte irgendwie traurig. Mit hoher, ausdrucksloser Stimme sagte er: »Der Große König empfängt gnädig die Ehrerbietung der charmanten Königin aus Algarth. Es gefällt dem König der Könige, dass andere Monarchen der Welt seine Überlegenheit anerkennen. Meine Majestät akzeptiert das Geschenk Eurer Majestät mit Dank und lässt Eure Majestät wissen, dass sie für ihre Großzügigkeit nicht unbelohnt bleiben soll.« Der König drehte das Geschenk herum – den besten der Goldkelche aus dem Schatzraum von Rennum Kezymar – und sagte: »Sieht wie eine mulvanische Arbeit aus.« Er blickte Jorian fragend an.
»Eure Majestät – das ist wahrscheinlich richtig. Der Handel hat die unübertroffenen Produkte mulvanischer Kunstschmiede in die Welt hinausgetragen – sogar bis ins ferne Algarth.«
»Ich verstehe. Nun, zur Diskussion von Staatsgeschäften wird der Große König die charmante Königin im Raum der Privataudienz zu einer Zeit empfangen, die von unseren Dienern festzusetzen ist. Mögen die Götter Mulvans und Algarths auf die anmutige Königin herablächeln!«
»Jetzt gehen wir rückwärts hinaus!« zischte Harichumbra.
Die Privataudienz war interessanter. Außer den allgegenwärtigen Wächtern waren nur fünf Personen im Raum – König Shaju, sein Minister Ishvarnam, Königin Mnevis, Jorian und Harichumbra. Ishvarnam eröffnete das Gespräch mit einer Frage.
»Herr Jorian, es gibt Gerüchte, wonach ein König Eures Namens in einer der fernen novarischen Städte – Zy … nein, Xylar, geflohen ist oder getötet wurde – ich weiß es nicht genau, die Berichte widersprechen sich. Seid Ihr zufällig mit diesem Monarchen bekannt?«
Mit klopfendem Herzen antwortete Jorian: »Ich vermute, dass wir entfernte Cousins sind, Exzellenz. Man wurde in Kortoli geboren, während der andere Jorian angeblich aus dem Dorf Ardamai stammt, mehrere Meilen entfernt. Eine Verbindung mag schon bestehen, aber es erfordert Zeit, so etwas festzustellen.«
»Man dankt Eurer Lordschaft für die Information«, sagte Ishvarnam. »Doch jetzt zum Geschäft …«
Jorian übersetzte Mnevis’ Rede und äußerte seine Bitte um eine große Streitmacht, die die Inselgruppe Algarth von den Piraten zurückerobern sollte. In Wirklichkeit waren die Piraten seit Anbeginn novarischer Geschichte in Algarth gewesen. Doch da die Mulvanier noch nie von Algarth gehört hatten, konnten sie auch keine Einwände erheben.
Als er geendet hatte, flüsterte Ishvarnam eine Zeitlang mit dem König. Dann sagte der Minister: »Mein lieber Lord Jorian – so sehr Seine Majestät auch entzückt wäre, ihrer charmanten Majestät den rechtmäßigen Thron wiederzugeben, steht
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