Der Schmetterlingsthron
einem Gleichgestellten, einem Untergebenen und so weiter sprecht. Am Hofe Mulvans gibt es acht Abstufungen der Höflichkeit – und sich hier auszukennen, ist in Eurem Falle besonders wichtig, da Ihr den Dolmetscher für die Damen abgeben müsst.
Als Angehöriger des unteren Adels Eures Landes rangiert Ihr unter unserem Adel, aber über unserer Beamtenschicht. Klassenunterschiede werden in unserem geordneten Land streng beachtet – es gibt nur ein Minimum an Berührungspunkten, und ein zu enger Kontakt mit weit auseinander stehenden Klassen führt zu religiöser Verunreinigung.
Aber nun zu den Instruktionen. Erstens. Wenn Ihr Euch dem Großen König nähert – möge er ewig herrschen! – erfordert es der Unterschied im Rang, dass Ihr nicht dichter als neun Schritte an ihn herankommt und dass ihr dreimal mit der Stirn den Boden berührt. Und dann die Grammatik. Wenn Ihr Seine Majestät ansprecht, werdet Ihr natürlich die höflichste Form wählen. Sätze, deren Subjekt oder Objekt Seine Majestät ist, werden in der dritten Person Einzahl Konjunktiv ausgedrückt … Wenn Ihr Euch einem Mitglied der Königsfamilie oder einem Mitglied der Priesterschaft nähert, müsst Ihr sechs Schritte vor der betreffenden Person halt machen und mit der Stirn einmal den Boden berühren. Bei der Anrede wird die dritte Person Einzahl Indikativ benutzt.
Habt Ihr mit einem Mitglied des mulvanischen Adels zu tun, müsst Ihr drei Schritte vor dem Betreffenden haltmachen und Euch verbeugen, so dass Euer Oberkörper parallel zum Boden verläuft. Dritte Person Einzahl Indikativ ist auch hier angebracht. Der Adlige wird Eure Verbeugung erwidern, aber indem er seinen Körper im Winkel von nur fünfundvierzig Grad zum Boden neigt …«
Ehe er sich wieder empfahl, führte Harichumbra noch aus, dass Königin Mnevis dem König am zweiten Tag nach ihrer Ankunft in einer offiziellen öffentlichen Audienz vorgestellt werde, dass eine Privataudienz mit dem Herrscher und seinen Beratern für den Tag danach vorgesehen sei und dass am zehnten Tag alle zu einem Hofball erwartet würden.
»Barbaren«, sagte Harichumbra, »hoffen zuweilen, zu einem Essen gebeten zu werden, nicht wissend, dass bei uns Gotterwählten das Essen ein unziemlicher Akt ist, der nur im Kreise der Familie vollzogen werden darf. Wir halten jedoch Bälle ab – wenn auch unsere Tanzkunst formeller und anständiger ist als in manchen anderen Ländern. Dieser Ball findet zu Ehren der Schlangenprinzessin statt, die ihren siebenhundertfünfzigsten Geburtstag feiert.«
»Wird die Prinzessin an dem Ereignis teilnehmen?«
»Ich glaube schon; es ist der einzige Anlass, zu dem sie ihre Räume verlässt. Ach, übrigens – seid Ihr ein Süchtiger im Hinblick auf fermentierte Säfte?«
Jorian riss die Augen auf. »Ich trinke gern mal einen Wein und ein Ale, aber als Süchtigen würde ich mich kaum bezeichnen. Warum die Frage?«
»Barbaren sind diesen Getränken oft leidenschaftlich verfallen, die den Mulvaniern verboten sind, außer den Klassenlosen. Wenn Ihr dieses Gift benötigt« – Harichumbra erschauderte sichtlich – »und eine Petition schreibt, dass Ihr süchtig und möglicherweise eine Gefahr für die Allgemeinheit seid, falls Ihr nicht trinken dürft, kann ich Euch eine regelmäßige Ration beschaffen.«
»Ich denke mal darüber nach«, sagte Jorian. Nachdem Harichumbra gegangen war, wandte er sich an Karadur: »Was für ein Mann ist dieser König Shaju überhaupt, ich meine als Mensch?«
»Deine Frage, mein Sohn, bedeutet wenig, denn in Mulvan ist das Königspielen so anstrengend, dass der Mann als Persönlichkeit kaum hervortreten kann. Von morgens bis abends hat er zu tun, wenn nicht mit Petitionen, dann mit religiösen Zeremonien. Denn er soll den Millionen Mulvaniern unter sich wie auch den zahlreichen Göttern im Himmel über sich gefallen – eine wirklich unangenehme Aufgabe.«
»Wie steht er zu seinen Vertrauten?«
»Er hat keine Vertrauten – keine Freunde, wie du sagen würdest. Die Etikette des Hofes beherrscht jeden Aspekt seines Lebens und schließt ihn von wahrer Vertraulichkeit aus. Wenn er eine seiner Frauen zu sich ins Bett ruft, muss sie die gleichen Ehrenbezeugungen vollführen wie alle anderen im Thronsaal. Vielleicht redet er ein paar private Worte mit ihr, wenn er seinen königlichen Samen gepflanzt hat – aber wer kann das wissen?«
»Das haben wir in Xylar besser gemacht – der König durfte sich wenigstens halbwegs menschlich geben. Was für
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