Der Schmetterlingsthron
nicht wahr?«
Eine Gruppe professioneller Tanzmädchen unterhielt nun die Gäste.
Jorian sagte: »Möchte Eure Hoheit einen Moment zum Abkühlen auf die Terrasse gehen?«
»Aber ja.«
Draußen sagte Jorian: »Die Tirade des heiligen Mannes scheint das Fest nicht sehr beeinträchtigt zu haben.«
»Oh, diese Mulvanier! Andauernd reden sie von ihrer moralischen Reinheit. Keinen Wein, kein Fleisch, keine Sinnenfreude und so weiter. Aber wenn man mal hinter die Kulissen schaut, sind sie ebenso sündhaft wie alle anderen. Heute Abend gehen sie nach Hause und kommen sich tugendhaft vor, weil sie den heiligen Mann schimpfen ließen, ohne sich beleidigt zu fühlen – und machen trotzdem weiter wie zuvor.«
»Wir hatten einmal einen mulvanischen Heiligen in Kortoli«, sagte Jorian. »Der hat beinahe das ganze Königreich zugrundegerichtet, ehe wir ihn loswurden.«
»Erzählt mir von diesem heiligen Mann!«
»Es geschah zur Zeit König Filomans des Wohlmeinenden, des Vaters unseres bekannteren Königs Fusinian. König Filoman war zweifellos von den edelsten Motiven bestimmt, die je ein herrschender König in Novaria mit auf den Thron brachte. Auch war er nicht dumm – nur mangelte es ihm leider an gesundem Menschenverstand. Eine Version der Legende besagt, dass dies das Ergebnis einer besonderen Planetenkonjunktion zur Zeit seiner Geburt war. In einer anderen Version wird davon gesprochen, dass bei der Taufversammlung der Feen die Fee des gesunden Menschenverstandes entrüstet wieder abrauschte, ohne ihm ihre Gaben mitzugeben, nur weil eine andere Fee das gleiche Kleid trug. Filoman besaß also alle Tugenden – Mut, Ehrlichkeit, Fleiß, Freundlichkeit und so weiter – nur fehlte ihm der gesunde Menschenverstand.
Es geschah nach dem Bankrott des Königreichs, nach dem Zusammenbruch des Rentenplans jenes Geistes, den Filoman als seinen Minister zu sich rief, dass unser heiliger Mann, Ajimbalin geheißen, nach Kortoli kam. Filomans neuer Minister Oinax war gerade vom Schreiber im Schatzamt befördert worden und hatte zuviel Ehrfurcht vor dem König, um Filoman unangenehme Dinge zu sagen. So hatte sich Ajimbalin bald im Palast eingerichtet und lag Filoman mit seinen Ratschlägen in den Ohren.
Filoman hörte gern zu, denn er fühlte sich für den Zusammenbruch des Pensionsplans und die sich daraus ergebenden Unannehmlichkeiten verantwortlich – und hatte außerdem ein schlechtes Gewissen, weil es ihm noch nicht gelungen war, die Kortolianer nach seinem Vorbild rein und tugendhaft zu machen. ›Kein Wunder‹, sagte Ajimbalin, ›wenn Ihr und Euer Volk so vielen sündigen Gewohnheiten nachgeht.‹
›Ich hatte mich immer für tugendsam gehalten‹, versicherte der König.
›Um für Euch und Euer Volk Rettung zu erlangen‹, fuhr der Asket fort, ›müsst Ihr dem Pfad der moralischen Vollkommenheit folgen, auf dem ich Euch geleiten will. Indem wir ein Beispiel geben, können wir hoffen, Eure Untertanen zum Nachahmen zu bewegen, und wenn das nicht hilft, müssen andere Mittel und Wege ersonnen werden. Zuerst müsst Ihr alle fermentierten Getränke aufgeben, Euren Wein … brr! … und Euer Bier … brrr!‹
Und bald hatte Ajimbalin den Hof zu Fruchtsaft bekehrt, wie wir ihn auch hier bekommen. Möchtet ihr noch ein Glas?«
»Nein – bitte erzählt weiter.«
»Ajimbalin wollte nun seine Prohibition auf alle Kortolianer ausdehnen, doch Oinax sprach sich dagegen aus mit dem Hinweis, dass das Königreich nach der eben überstandenen Katastrophe auf die Steuern angewiesen sei. Also wurde das allgemeine Verbot von Wein und Bier zunächst aufgeschoben.
Dann sagte Ajimbalin zum König: ›Ihr müsst nun auch die widerliche Sitte aufgeben, das Fleisch getöteter Tiere zu essen. So etwas zeigt einen bedauernswerten Mangel an Respekt vor dem Leben. Wie könnt Ihr wissen, ob das Tier nicht die Inkarnation eines Eurer Vorväter war?‹ Also ließen der König und sein Hof sich auf Diät setzen und aßen nur noch Gebäck und Gemüse, wie es hier üblich zu sein scheint. Und weiter sagte der heilige Mann: ›Als nächstes müsst Ihr die schlimme sinnliche Lust aufgeben, die Ihr mit Eurem Weibe teilt. Da solcher Trieb der Quell alles Leides ist, erreicht Ihr dadurch das wahre Glück!‹
›Aber es geht mir doch um das Glück meiner Untertanen!‹ wandte Filoman ein.
›Um so besser‹, sagte Ajimbalin. ›Indem Ihr meinen Lebensregeln folgt, tretet Ihr nicht nur in einen unbeschreiblichen Glückszustand ein, sondern
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