Der Schmetterlingsthron
gewinnt auch Kraft und Weisheit zur Lösung aller Probleme des Reiches – aber Kraft und Lust zugleich, das geht nicht.‹
›Aber‹, sagte Gilo Filoman, ›wenn alle meine Untertanen ihre ehelichen Bindungen aufgeben, gibt es bald kein Volk von Kortoli mehr.‹
›Um so besser‹, sagte der weise Mann. ›Wenn in dieser Ebene keine Menschen mehr geboren werden, müssen die Seelen zwangsläufig in die nächsthöhere Ebene erhoben werden und brauchen nicht immer wieder in dieses Jammertal zurückzukehren. Ihr und die Königin müsst darin ein Beispiel geben.‹
Filoman gab nach. Der Königin jedoch gefiel dieser Plan nicht. Nach kaum einem Jahr war sie mit einem Kapitän aus Salimor durchgebrannt, der ein bekannter Pirat wurde. Sie ließ ihren jungen Sohn zurück, der später als König Fusinian hervortrat.
Als nächstes sorgte Ajimbalin dafür, dass sich König Filoman in Sack und Asche kleidete, auf hartem Boden schlief und Ajimbalins moralische Gesetze auswendig lernte. Seltsamerweise erzeugte diese strenge Lebensweise in König Filoman nicht jene Glücksstimmung, die Ajimbalin verheißen hatte. Er war unglücklicher denn je zuvor. Obwohl ihm seine Frau oft genug auf die Nerven gegangen war, fehlte sie ihm jetzt, ebenso wie sein Sohn, der am Hofe des Großen Herzogs von Othomae als Page diente. Seine Freunde fehlten ihm, die Dame mit ihm gespielt hatten, auch durfte er nicht mehr jagen und fischen und tanzen gehen. Anstatt Kraft und Weisheit zu gewinnen, war er geschwächt und verwirrt. Weinend sagte er Ajimbalin, dass er wohl ein hoffnungsloser Sünder sei, weil ihn das tugendsame Leben nicht glücklich mache.
›Dann, mein Sohn‹, sagte der heilige Mann, ›scheint Ihr mir zum letzten und drastischsten Schritt bereit zu sein. Ihr werdet eine Abdankungserklärung ausfertigen und mich an Eurer Stelle zum König machen.‹
Das verblüffte Filoman, der Einwände erhob. Doch Ajimbalin überredete ihn schnell, denn der heilige Mann hatte den König so im Griff, dass dieser keinen eigenen Willen mehr besaß. Filoman unterschrieb also die Erklärung.
›Und jetzt‹, sagte Ajimbalin, ›werdet Ihr zum wahren Gott von Mulvan beten und Euch selbst töten. Nur so könnt Ihr Eurem Volk helfen und Euer Leiden enden, denn Euch fehlt die Energie, Kortoli die Reformen zu bringen, die es zu seinem Wohl benötigt. Die Götter haben mich deshalb zu ihrem unwürdigen Instrument bestimmt, diese Verbesserungen zu bewirken. Hier ist ein Dolch aus Eurer Waffenkammer; ein schneller Stoß, und alles ist vorbei.‹
Filoman nahm den Dolch, betrachtete ihn zweifelnd und probierte die Spitze am Daumen aus. Dann rief er: ›Autsch!‹ und warf die Waffe von sich; er brachte den Mut nicht auf. Auch weigerte er sich, das Gift zu trinken, das Ajimbalin vorsorglich mitgebracht hatte. Der König begann zu weinen und zu schluchzen – ein erbärmlicher Anblick in seinen Lumpen, wund und verdreckt am ganzen Körper, das Ergebnis eines asketischen Lebens.
›Ich lasse die Tat von Oinax ausführen‹, sagte er schließlich.
Filoman erklärte seinem Minister den Plan, doch Oinax sank in die Knie und flehte den König an, seine Absicht zu ändern. Aber Filoman, dem der Tod nun eine willkommene Erleichterung von seinem Elend zu sein schien, blieb fest.
›Ich knie nieder‹, sagte er. ›Und wenn ich sage: »Schlag zu!«, dann schlägst du mir den Kopf ab.‹
Und König Filoman beugte die Knie und neigte den Kopf, und Oinax, der vor Angst und Entsetzen zitterte, nahm das Schwert. Da er ein kleiner Mann war, musste er es mit beiden Händen führen. Er blickte zu Ajimbalin hinüber. Der heilige Mann hockte in der Nähe und starrte mit seltsam glitzernden Augen auf den König; Speichel troff ihm aus dem Mundwinkel. Ob er in einer Art heiligen Ekstase war oder ihn nur nach der Macht gelüstete, die so greifbar nahe war, wurde nicht mehr bekannt. Denn Oinax wirbelte plötzlich herum und hieb mit aller Kraft nach dem Hals des Ajimbalin, dessen Kopf wie ein Fußball über den Boden rollte.
Entsetzt versuchte Filoman seinem Minister das Schwert zu entwinden, doch er war zu schwach. Der König brach in einen Weinkrampf aus, und als er fertig war, schien er wieder zu sich zu kommen.
›Wie steht es im Lande, Herr Oinax?‹ fragte er. ›Es ist Monate her, dass ich hierüber Nachrichten gehört habe.‹
›In mancher Hinsicht steht es gut, in anderer Hinsicht nicht so gut‹, sprach der Minister. ›Die Leoparden, die nicht mehr gejagt werden
Weitere Kostenlose Bücher