Der Schmetterlingsthron
Damit kamen die Priester des Gorgolor, der bis dahin ein kleiner Nebengott gewesen war, überhaupt an die Macht. Doch schon bald begannen sie ein Monopol des Übernatürlichen anzustreben. Zuerst erließen sie harte Gesetze gegen die Hexerei. Dann wurden einige kleine exzentrische Kulte unterdrückt. Schließlich kamen die Priesterschaften Zevatas’ und Frandas und der anderen wichtigen Götter unter den Einfluss des Hohepriesters Gorgolors, der dadurch zum Theokraten wurde.
Daraufhin verkündete der Theokrat eine Reihe von Enthüllungen der Götter. Jede vergrößerte Macht und Ruhm Gorgolors und beeinträchtigte die anderen Götter, die schließlich zu bloßen Lakaien Gorgolors gemacht wurden. Nach und nach wurden ihre Tempel anderen Zwecken zugeführt oder abgerissen, und ihre Bildnisse wurden unter diesem oder jenem Vorwand verrrichtet oder verschleppt.«
»Ich möchte wissen, was die Götter selbst davon halten«, sagte Jorian.
»Ich auch. Heutzutage werden die anderen Götter in den Riten Gorgolors gar nicht mehr erwähnt, sondern summarisch als Gorgolors hilfreiche Geister abgetan.«
»Wenn nun ein Tarxianer die Anbetung Zevatas’ wieder ins Land bringen wollte?«
»Er würde als Gotteslästerer verbannt. Ihr als Ausländer dürft hier leben, doch nur für begrenzte Zeit. Wolltet Ihr hier ständig wohnen, müsstet Ihr den Wahren Glauben annehmen. Nun wollen wir mal sehen: Wie kann ich Euch vorstellen? Ich habe den Priestern wenig über Euch gesagt.«
»Ich nenne mich Maltho aus Kortoli«, sagte Jorian.
»Das ist nicht vornehm genug. Wie wäre es mit Lord Maltho aus Kortoli?«
»Kortoli hat keinen Adel. Die Mulvanier konnte ich überzeugen, dass ich ein kortolischer Edelmann war, nicht aber die Priester.«
»Und wie wär’s mit Dr. Maltho?«
»Naja, ich habe mal bei der Akademie in Othomae einen Kurs in Literatur belegt, als ich Soldat des Großen Bastards war.«
»Dann seid Ihr Maltho aus Kortoli, Doktor der Literatur von der Akademie aus Othomae. Wir kommen unmittelbar nach der Abendandacht dran. Danach kümmern sich die meisten Priester um ihre eigenen Angelegenheiten, und der Tempel dürfte einigermaßen leer sein.
Die Audienz findet im Palast des Theokraten statt. Das ist Kylo aus Anneia, der abgesehen von seinem Amt kein übler Bursche ist. Ich halte ihn für einen ehrlichen und recht einfältigen alten Mann, der alles glaubt, was seine Priester den Gläubigen auftischen.
Wenn Ihr die allgemeine Neugier über die Reife der Ausländer zur Bekehrung befriedigt habt, sollt Ihr ein paar Bemerkungen über den Tempel einflechten. Kylo hat das Gebäude vor einigen Jahren umgestalten lassen und ist ungemein stolz darauf. Er wird Euch unbedingt selbst herumführen wollen.
Bewaffnete Wächter stehen rings um den Tempel, und drinnen halten sich einige Priester auf, die darauf achten sollen, dass niemand etwas stiehlt. Wenn Eure Gruppe an der Smaragdstatue vorbeikommt, entfaltet bitte Eure ganze Geschicklichkeit im Geschichtenerzählen. Ihr müsst die Leute derart faszinieren, dass auch die wachhabenden Priester Euch folgen. Ich glaube kaum, dass der gute alte Kylo sie deswegen tadeln wird.
Inzwischen schlüpfen ich und Karadur hinter das Podest Gorgolors. Während Ihr Euch mit der Gruppe zum Haupteingang begebt und dabei wie mit Engelszungen redet, führen wir den Schrumpfungszauber durch. Wenn wir wieder zu Euch stoßen, so, die Götter mögen es erlauben, mit dem winzigen Gorgolor in der Tasche. Auch wenn der Diebstahl entdeckt wird, ehe wir den Tempel verlassen haben, wird man uns bestimmt nicht durchsuchen, denn die Priester fahnden bestimmt nach einer Gruppe von zwanzig bis dreißig Mann und einem Ochsengespann, die nötig wären, um die Statue in ihrer jetzigen Gestalt fortzuschaffen.«
Als sich die Gruppe, bestehend aus Jorian, Karadur, Valdonius, dem Theokraten, vier seiner hohen Geistlichen und einem gewöhnlichen Priester, der sein Sekretär war, dem Haupteingang des Tempels von Gorgolor näherte, bewegten die Speerträger die Knie.
Kylo aus Anneia war ein kleiner, stämmiger Mann mit großer Hakennase; er trug eine weiße Seidenrobe und eine hohe Mütze aus weißem Filz mit juwelenbesetzter Goldborte. Die Geistlichen waren rot gekleidet, der gewöhnliche Priester in Schwarz.
Jorian, frisch rasiert, duftend, sauber gekleidet, sagte gerade: »… und so kann ich Euer Heiligkeit in dieser Angelegenheit nicht viel Hoffnung machen. Die Nomaden verachten alle Sessoren, wie sie sie
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