Der Schmetterlingsthron
Rechtschaffenheit oder Befähigung aussuchte, sondern nach ihrer Bewunderung für die künstlerischen Taten ihres Herrschers. Nachdem das Königreich unter einigen Dieben und Versagern gelitten hatte, wurde Forimars jüngerer Bruder Fusonio energisch.
›Mein lieber Bruder‹, sprach Fusonio, ›so kann es nicht weitergehen.‹ Nachdem er Forimar über die Taten der letzten Minister aufgeklärt hatte, fügte er hinzu: ›Außerdem bist du fast dreißig und hast noch keine Königin erwählt, die dir rechtmäßige Erben für den Thron schenkt.‹
›Das ist meine Sache!‹ sagte Forimar aufgebracht. ›Ich habe mich lange beim anderen Geschlecht umgesehen. Ich bin sehr sensibel, und jeder Mangel an Geist oder Körper sticht mir so ins Auge, dass ich nicht damit leben könnte. So werde ich wahrscheinlich bis ans Ende nur meiner Kunst leben und meiner Liebe zur Göttin Astis, der Göttin der Liebe und Schönheit. Aber mach dir keine Sorgen, Fusonio. Wenn ich sterbe, wirst du mir auf dem Thron folgen, und du hast ja bereits fünf gesunde Kinder.‹
Fusonio flehte weiter, doch Forimar ließ sich nicht bekehren. ›Dann‹, sagte Fusonio schließlich, ›ist es deine Pflicht, zu meinen Gunsten abzudanken, ehe deine Leidenschaft für die Schönheit das ganze Land ins Verderben stürzt. Du könntest dann ungestört deinen künstlerischen Ambitionen nachgehen.‹
›Ich werde darüber nachdenken‹, sagte Forimar. Doch je mehr er darüber nachdachte, desto weniger gefiel ihm der Gedanke. Zwar waren er und sein Bruder immer gut miteinander ausgekommen, doch sie hatten wenig gemein. Fusonio war ein offener, herzlicher Typ und hatte kein Gefühl für die Dinge, die Forimar am Herzen lagen.
Außerdem kam Forimar auf den Gedanken, dass sein Bruder einen Weg suchte, ihn aus reinem Ehrgeiz vom Thron zu verdrängen. Wenn er erst an der Macht war, konnte nichts Fusonio daran hindern, den Bruder gewaltsam zu beseitigen. Außerdem sorgte der Staat für ein gutes Einkommen, solange er die Krone innehatte – Gelder für seine Kunst, die er als Privatperson kaum beanspruchen konnte.
Um nicht einen öffentlichen Streit mit Fusonio heraufzubeschwören, entwarf er einen Plan, sich den Bruder vom Hals zu schaffen. Er machte ihn zum Admiral einer Flotte, die den Östlichen Ozean bis hin zu den sagenumwobenen Salimor-Inseln erkunden sollte. Fusonio segelte ohne Widerrede ab, denn diese Art Abenteuer lag ihm. Und Forimar wandte sich wieder seinen Künsten zu.
Dabei wurde die Bemerkung, die er gegenüber Fusonio gemacht hatte, dass er nämlich die Göttin Astis liebe, immer mehr zur Realität. Er konnte bald nur noch an die Göttin denken, die er nächtelang anbetete, in der Hoffnung, sie würde ihm erscheinen.
In dem verzweifelten Bemühen, die Göttin in seine Arme zu locken, schrieb Forimar einen Wettbewerb aus – es galt eine Statue Astis’ zu schaffen, die durch ihre unvorstellbare Schönheit die Skrupel der Göttin überwinden sollte, sich mit einem Sterblichen zu vereinen. Der Schatzmeister war entsetzt über die Preise, die Forimar ausschrieb; doch nachdem Fusonio außer Landes war, ließ sich Forimar nicht aufhalten. Er bot jedem Teilnehmer einen Preis, ob er nun einen Spitzenplatz belegte oder nicht.
So nahmen natürlich auch Personen teil, die vorher noch nie eine Skulptur erschaffen hatte; ihre ›Werke‹ aber kamen nicht in den Wettbewerb, denn die Zahl der ausgezeichneten Bildnisse in Bronze und Marmor und Porzellan war überwältigend. Fast alle Künstler zeigten die Göttin als wunderschöne nackte Frau, denn das entsprach der überlieferten novarischen Kunstvorstellung. Nach einiger Zeit vergab Forimar den ersten Preis an einen gewissen Lukisto aus Zolon und kleinere Preise an die anderen Wettbewerber. Und die Hunderte von Statuen wurden im Tempel der Astis aufgestellt, deren Priester kaum noch ihre heiligen Funktionen erfüllen konnten, so voll war das Gebäude.
Zur gleichen Zeit herrschte in Aussar ein Priester der Selindé, Doubri geheißen. Der Priester war zum Politiker geworden, um den Erbdespoten zu stürzen, dessen Familie das Volk ein Jahrhundert lang unterdrückt hatte. Der neue Herrscher nannte sich Doubri der Makellose, womit er meinte, dass er Sünde und Lust absolut besiegt hatte.
Doubri sorgte tatsächlich für manche Verbesserung in Aussar. Aber gegenüber den gewöhnlichen menschlichen Schwächen, vom strikteren Theologen für Sünden gehalten, war er außerordentlich hart. Bitte versteht, Euer
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