Der Schnee war schmutzig
man mit ihnen keinen Kontakt bekommen kann, und das ist demütigend.
Er stößt die Tür bei Leonhard auf. Kromer sitzt dort mit einem Mann, der so ganz anders ist als sie beide, mit Ressl, dem Chefredakteur der Abendzeitung, der immer von einem Leibwächter mit gebrochener Nase begleitet ist.
»Kennst du Peter Ressl?«
»Dem Namen nach wie jedermann.«
»Mein Freund Frank.«
»Freut mich.«
Ressl reicht ihm seine lange knochige, sehr weiße Hand. Vielleicht sind es Adlers Hände, die Hände des Fahrers von heute abend, die Franks Mißtrauen erregt haben, denn sie ähneln denen Ressls.
Die Familie Ressl ist eine der ältesten in der Stadt, und sein Vater war Staatsrat. Schon vor dem Krieg waren sie finanziell ruiniert, aber die Besatzungsmacht hat in ihrer Villa ihr Hauptquartier aufgeschlagen, und es vergeht kein Monat, ohne daß dort für diese Herren Bauarbeiten durchgeführt werden.
Es wird erzählt, daß Staatsrat Ressl, der immer wie ein Schatten an den Häusern vorbeihuscht, noch kein einziges Wort mit ihnen gewechselt habe und daß jeder andere an seiner Stelle schon gehängt oder erschossen sein würde.
Peter ist von Beruf Rechtsanwalt und hat sich früher mit Filmangelegenheiten beschäftigt. Er hat dann den ihm angebotenen Chefredakteurposten der Abendzeitung sofort angenommen. Wahrscheinlich ist er der einzige im ganzen Land, der die Erlaubnis bekommen hat, die Grenzen zu überschreiten. Die Gründe dafür sind undurchsichtig. Er ist so nach Rom, Paris und London gereist. Der dunkle Anzug, den er heute abend trägt, stammt aus London, und er raucht ostentativ englische Zigaretten.
Er ist nervös und wirkt ungesund. Manche behaupten, er sei süchtig. Andere, er sei homosexuell.
»Ich dachte«, sagte Kromer, der sehr stolz darauf ist, mit Ressl zusammen gesehen zu werden, aber zugleich etwas beunruhigt darüber, daß Frank um diese Zeit erschienen ist, »du hättest eine wichtige Verabredung. Was willst du trinken?«
»Ich bin nur hereingekommen, um dir schnell guten Tag zu sagen.«
»Trink doch etwas! Kellner!«
Einige Minuten später, als Frank geht, nimmt Kromer einen flachen Gegenstand aus seiner Tasche und steckt ihn in die seines Freundes.
»Man kann nie wissen …«
Es ist eine kleine Flasche Schnaps.
»Viel Glück. Und vergiß nicht, daß die Kleine …«
Sie haben fast nicht miteinander gesprochen.
Das Auto war in Wirklichkeit ein Lieferwagen. Karl Adler wartete mit dem Fuß auf dem Gashebel.
»Und wo ist der andere?« fragte Frank besorgt.
»Hinten.«
Und wirklich sah er im Dunkel des Lieferwagens eine Zigarette glimmen. »Wohin?«
»Fahren Sie erst einmal durch die Stadt.«
Der Wagen fuhr am Kino Lido vorüber. Einen Augenblick lang dachte Frank an Sissy, die unter der Lampe Blumen malt, bis ihr Vater heimkommt. Der Kerl, der hinten sitzt, gehört der untersten Schicht an. Frank hat es schon gestern bemerkt. Er hat breite Hände mit tiefen schwarzen Rillen in der Haut. Wenn sein Gesicht richtig gewaschen wäre, hätte es eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Kromers. Er ist nicht ein bißchen aufgeregt. Obwohl er nicht weiß, was man vorhat, stellt er keine Frage.
Auch Karl Adler tut es nicht. Aber er hat eine unangenehme Art, vor sich hinzublicken. Er zeigt so Frank ein absichtlich gleichgültiges Profil mit einem verächtlichen oder jedenfalls überlegenen Ausdruck: »Und nun?«
»Links einbiegen.«
Da kein Wagen ohne Ausweis der Besatzungsmacht fahren darf und sie nicht gerade großzügig damit ist, muß man annehmen, daß Adler für sie arbeitet. Viele spielen dieses Doppelspiel. Man hat einen erschossen, den man Tag für Tag mit höheren Offizieren zusammen gesehen hatte, und er war so bekannt, daß die Kinder auf dem Bürgersteig ausspuckten, wenn er vorbeiging. Jetzt sagen die Leute, er sei ein Held gewesen.
»Nach der nächsten Kreuzung wieder links einbiegen.«
Frank raucht eine Zigarette und gibt auch dem Kerl hinten eine, der auf dem Ersatzreifen zu sitzen scheint. Adler hat erklärt, er rauche nicht. Nun, dann läßt er es eben bleiben.
»Wenn Sie einen Leitungsmast sehen, biegen Sie rechts ein und fahren dann die Anhöhe hinauf.«
Das Dorf ist nicht mehr fern. Frank würde es mit geschlossenen Augen finden. Er würde gern sagen: Mein Dorf, wenn es irgendwo in der Welt etwas gäbe, was ihm gehörte. In diesem Dorf ist er aufgewachsen. Lotte, die ihn mit neunzehn Jahren bekam, hat ihn dort in Pflege gegeben.
Zuerst geht es ziemlich steil bergauf. Die
Weitere Kostenlose Bücher