Der Schnee war schmutzig
werden.«
»Wird gemacht.«
Frank ist seit Jahren nicht mehr hier gewesen, aber unwillkürlich folgt er seinen Fußstapfen von einst. Der Uhrmacher Vilmos und seine Uhren und sein berühmter Garten sind vielleicht die lebendigsten Erinnerungen an seine Kindheit.
Noch bevor er die Tür erreicht, glaubt er den Geruch des Hauses wiederzuerkennen, eines Hauses, das immer ein Haus der alten Leute gewesen ist, denn der Uhrmacher Vilmos und seine Schwester sind ihm stets uralt erschienen.
Er zieht ein dunkles Tuch aus seiner Tasche, das er sich unter den Augen ums Gesicht bindet. Stan will protestieren.
»Bei dir ist das anders. Dich kennt man nicht. Aber wenn du willst …«
Er reicht ihm ein ähnliches Tuch. Denn er hat an alles gedacht. Er erinnert sich noch an Fräulein Vilmos’ Plätzchen, Plätzchen, wie er sie sonst nirgends bekommen hat. Sie schmeckten fade, waren dick und mit Verzierungen aus rotem oder blauem Zucker darauf. Sie bewahrte sie in einer Dose auf, auf der die Abenteuer Robinson Crusoes in bunten Bildern dargestellt waren.
Sie nannte Frank immer: »Engelchen …«
Vilmos muß jetzt mindestens achtzig sein. Seine Schwester siebzig. Es fällt Frank schwer, sich das vorzustellen, denn als Kind schätzt man das Alter der Leute anders ein. Für ihn sind Vilmos’ immer alt gewesen, und Vilmos war auch der erste, bei dem er gesehen hat, daß man sich alle Zähne auf einmal aus dem Munde nehmen kann. Er trug nämlich ein Gebiß.
Es sind Geizhälse. Bruder und Schwester sind beide gleich geizig.
»Soll ich läuten?« fragt Stan. Es macht ihn nervös, so mitten auf einem menschenleeren Platz im Mondschein zu stehen.
Frank läutet selber. Es überrascht ihn, daß die Schnur so niedrig hängt. Damals mußte er sich auf die Zehenspitzen stellen, wenn er sie erreichen wollte. Den Revolver hält er in der rechten Hand. Er stellt den Fuß so, daß er wie neulich bei Sissy verhindern kann, daß die Tür wieder zugeschlagen wird. Schritte kommen von fern wie in einer Kirche. Auch daran erinnert er sich noch. Der lange und breite Flur mit den dunklen Wänden und mit den geheimnisvollen Türen wie in einer Sakristei ist mit grauen Fliesen bedeckt, von denen immer einige locker waren.
»Wer ist da?«
Es ist die Stimme von Fräulein Vilmos, die keine Angst kennt.
»Ich komme vom Pfarrer«, antwortet er.
Er hört, wie die Kette abgenommen wird, schiebt den Fuß vor, hält den Revolver vor den Bauch und sagt zu Stan, der plötzlich ganz verlegen geworden ist: »Geh hinein.«
Dann sagt er zu der alten Frau: »Wo ist Vilmos?«
Mein Gott, wie klein und schneeweiß sie ist! Sie schlägt die Hände zusammen und stammelt mit ihrer heiseren Stimme: »Aber, mein lieber Herr, Sie wissen doch, daß er schon vor einem Jahr gestorben ist.«
»Geben Sie mir die Uhren.«
Er erkennt den Flur wieder, die dunkelbraune Tapete aus imitiertem Leder, auf der die Goldstreifen noch sichtbar sind. Links befindet sich der Laden mit dem Arbeitstisch, über den sich Vilmos immer beugte, wobei er sich eine schwarz umrandete Lupe ins Auge klemmte.
»Wo sind die Uhren?«
Nervös werdend, setzt er hinzu:
»Die Sammlung …«
Dann richtet er den Revolver auf sie.
»Es ist besser für Sie, wenn Sie schnell machen.«
Vielleicht wäre die Sache beinahe mißglückt. Er hat nicht vorausgesehen, daß Vilmos tot sein könnte. Mit ihm wäre es leicht gewesen. Der Uhrmacher war so ängstlich, daß er seine Uhren sofort herausgegeben hätte.
Die alte Hexe ist aus anderem Holz geschnitzt. Sie hat zwar den Revolver gesehen, aber man spürt, daß sie nach einem Ausweg sucht. Sie ist noch nicht entschlossen, sich zu ergeben. Sie wird bis zuletzt kämpfen.
Da sagt Stan, an den Frank gar nicht mehr gedacht hat, in schnarrendem Ton: »Vielleicht könnte man ihrem Gedächtnis auf die Sprünge helfen.«
Er muß Übung darin haben. Kromer hat keinen Anfänger ausgesucht. Vielleicht hat er es absichtlich getan, weil er Frank nicht recht traute.
Die Alte drückt sich gegen die Wand. Eine gelbe dünne Haarsträhne hängt ihr übers Gesicht. Sie breitet die Arme auseinander und legt die Hände flach auf die falsche Ledertapete.
Fast mechanisch wiederholt Frank: »Die Uhren …«
Er hat nicht viel getrunken, und dennoch ist ihm zumute, als wäre er betrunken. Alles ist verworren und verschwimmt. Nur wenige Einzelheiten treten mit überstarker Deutlichkeit hervor: die gelblichgraue Haarsträhne, die flach auf die Wand gelegten Hände der alten Frau
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