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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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nicht. Vielleicht ist es auch nur eine Gedankenverbindung. Sie genügt aber, um in ihm ein unbehagliches Gefühl zu wecken.
    »Wann treffen wir uns?«
    »Möglichst bald.«
    »Morgen? Wann?«
    »Um acht Uhr abends. Hier.«
    »Nicht hier«, mischt sich Adler ein. »Meine Kiste wird in der Hinterstraße parken, genau vor dem Fischladen. Sie brauchen dann bloß einzusteigen.«
    Als sie wieder allein waren, fragte Frank dennoch Kromer: »Sind die sicher?«
    »Habe ich dir jemals einen vorgestellt, der nicht sicher gewesen wäre?«
    »Was macht dieser Adler?«
    Eine Handbewegung.
    »Mach dir keine Sorgen.«
    Es ist sonderbar. Man traut und mißtraut sich gleichzeitig. Das kommt vielleicht daher, daß jeder den anderen mehr oder weniger hält und daß alle sich, wenn man ein bißchen sucht, etwas vorzuwerfen haben. Kurz und gut, wenn man nicht verrät, so aus Angst, verraten zu werden.
    »Und das Mädchen, hast du daran gedacht?«
    Frank hat nicht darauf geantwortet. Er hat ihm nicht gesagt, daß er gerade an diesem Tag Sissy wiedergesehen hat. Nicht lange. Nicht gleich, nachdem Holst, dem er vom Fenster aus nachblickte, wie er zur Haltestelle der Straßenbahn ging, das Haus verlassen hatte.
    Er hat bis vier Uhr gewartet, hat schließlich die Schultern gezuckt und gedacht: Na, wir werden mal sehen.
    Nur im Vorbeigehen hat er an ihre Tür geklopft. Des alten Dummkopfs wegen, der hinter dem Guckfenster lauerte, hatte er nicht die Absicht, zu ihr hineinzugehen, sondern hat nur gesagt: »Ich warte unten auf dich. Kommst du herunter?«
    Er hat nicht lange warten müssen. Sie kam im Laufschritt angerannt, wobei sie mechanisch zu den Fenstern hochblickte, und dann hat sie sich wie selbstverständlich bei ihm eingehängt.
    »Herr Wimmer hat meinem Vater nichts erzählt«, hat sie gleich gesagt.
    »Das wußte ich von vornherein.«
    »Ich kann heute aber nicht lange bleiben.«
    Beim zweiten Male können die Mädchen nie lange bleiben.
    Es begann schon zu dämmern. Er hat sie in die Sackgasse geführt, und da hat sie ihm ihren Mund dargeboten und gefragt: »Hast du an mich gedacht?«
    Er hat sie nicht an sich gepreßt, sondern hat nur einen Augenblick die Hand in ihre Bluse gesteckt, weil er am Tag zuvor im Lido nicht an ihre Brüste gedacht hatte und darum nicht wußte, wie sie beschaffen waren. Nachts bei Minna, die nur einen ganz flachen Busen hat, war es ihm eingefallen.
    Hat er deswegen, aus purer Neugier, bei Sissy angeklopft und sie gebeten, herunterzukommen?
    Er hat sie heute, zur selben Stunde, wiedergesehen; und heute hat er angekündigt: »Ich habe nur ein paar Minuten Zeit.«
    Sie hat nicht gewagt, Fragen zu stellen, obgleich es sie danach verlangte. Sie hat nur den Mund verzogen und geflüstert: »Findest du mich häßlich, Frank?«
    Wieder wie die anderen. Aber er wüßte wirklich nicht zu sagen, ob er ein Mädchen hübsch oder häßlich findet. Es kommt auch gar nicht darauf an. Er verspricht Kromer nichts, schlägt ihm aber auch nichts ab. Man wird sehen.
    Minna behauptet, sie sei in ihn verliebt, sie schäme sich jetzt, da sie ihn kenne, dessen, was sie mit den Kunden machen müsse. Sie hat bei dem ersten kein Glück gehabt. Wieder Komplikationen! Frank hat sich bemüht, sie zu beruhigen. Sie hat obendrein Angst vor ihm. Sie hat den Revolver gesehen, und das hat sie entsetzt.
    Er hat ihr heute versprechen müssen, sie zu wecken, wenn er nach Hause kommt, ganz gleich wie spät es dann ist.
    »Ich werde sowieso nicht schlafen«, hat sie gesagt.
    Sie hat schon den Geruch der Frauen in der Wohnung. Das muß an der Seife liegen, die Lotte den Mädchen gibt. Jedenfalls verwandeln sie sich immer schnell. Und sie ist den ganzen Morgen in einem schwarzen Spitzenhemd in der Wohnung herumspaziert.
    Er hat sich vorgenommen, zu der Verabredung mit Adler und dem anderen zu gehen, ohne vorher Kromer noch einmal zu sehen, aber im letzten Augenblick wird er schwankend. Nicht so sehr Kromers wegen, sondern weil er das Bedürfnis hat, sich an etwas Vertrautes zu klammern. Die Menge auf der Straße beängstigt ihn immer ein wenig. Im Licht der Schaufenster oder der Gaslaternen wirken die Gesichter unheimlich blaß oder müde, und manche haben einen abwesenden oder verbissenen Ausdruck. Die meisten sind verschlossen. Am schlimmsten sind die toten Augen. Man begegnet immer häufiger Menschen mit toten Augen.
    Wie Holst sie hat? Aber bei ihm ist es anders. In Hoists Augen ist kein Haß. Sie sind auch nicht leer. Dennoch fühlt man, daß

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