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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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Häuser sind in Wirklichkeit fast alle kleine Bauernhöfe. Dann wird die Straße breiter und bildet eine Art Platz mit runden Pflastersteinen, über die die Autos holpern. Die Kirche steht hinter dem Teich, der aber nur ein großer Sumpf ist. Daneben liegt der Friedhof, auf dem der Totengräber – ob es immer noch der alte Pruster ist? – auf Wasser stößt, bevor er einen Meter tief gegraben hat.
    »Ich begrabe sie nicht. Ich ertränke sie!« sagt er.
    Die Scheinwerfer beleuchten ein rötliches Haus, auf dem Giebel sind Engel in natürlicher Größe gemacht. Das ganze Dorf ist wie ein Spielzeug angemalt. Es gibt rosa, grüne, blaue und gelbe Häuser. Fast alle haben eine kleine Nische mit einer Porzellanmadonna darin, und einmal im Jahr gibt es ein Fest, wo an allen Statuen eine Kerze angezündet wird.
    Frank ist nicht erregt. Als Kromer mit ihm von den Uhren gesprochen hat, hat er sich gesagt, daß ihm das nichts ausmachen würde.
    Es ist sogar eine gute Gelegenheit. Er schuldet weder diesen Leuten noch sonst jemand etwas. Es ist ja so einfach, einem Kinde Bonbons zu schenken und mit einer albern piepsenden Stimme mit ihm zu reden.
    Bis zu seinem elften Lebensjahr hat er hier gelebt. Fast jeden Sonntag besuchte ihn seine Mutter. Jedenfalls im Sommer – er erinnert sich noch an ihre weißen Strohhüte. Es gab keine schönere Frau in der Welt. Seine Pflegemutter faltete bei jedem dieser Besuche ihre roten Hände über dem Bauch und blickte Lotte bewundernd an.
    Lotte kam nicht immer allein. Vier- oder fünfmal begleitete sie ein Mann. Jedesmal ein anderer. Sie waren alle sehr zurückhaltend. Und sie blickte sie ängstlich an und sagte mit geheuchelter Heiterkeit: »Das ist mein Frank.«
    Aus irgendeinem Grund verdarb ihr das sicherlich jedesmal alles. Als sie Frank dann in die Stadt in ein Internat brachte, hatte er es schon begriffen und bat sie, ihn nicht mehr zu besuchen, obwohl sie immer mit vollen Händen gekommen war.
    »Aber warum denn?«
    »Um nichts.«
    »Haben dir deine Freunde etwas gesagt?«
    »Nein.«
    Sie wollte aus ihm einen Arzt oder einen Rechtsanwalt machen. Das war ihre Marotte.
    Zum Glück kam der Krieg, und die Schulen blieben mehrere Monate lang geschlossen. Als sie wieder geöffnet wurden, war er schon fünfzehn Jahre alt.
    »Ich gehe nicht ins Internat zurück«, hat er erklärt.
    »Warum nicht, Frank?«
    »Darum.«
    Er hat nie herausbekommen, ob er sie an jemanden erinnerte, aber als er noch ein kleiner Junge war, hat er bereits gemerkt, daß seine Mutter, wenn er ein bestimmtes Gesicht machte, nicht weiter in ihn drang, erschreckt schien und alles tat, was er wollte. Sein verschlossenes Gesicht, wie sie sagte.
    Seitdem ist das Leben für alle Menschen so kompliziert geworden, daß Lotte sich nicht mehr um seine Ausbildung gekümmert hat. Man hat sich angewöhnt zu sagen: »Später, wenn alles vorüber ist.«
    Es geht immer noch weiter, und er ist inzwischen ein Mann geworden. Es ist noch nicht lange her, da hat er bei einem Streit, bei dem er der Ruhigere geblieben war, Lotte kalt mit zusammengekniffenen Augen ins Gesicht gesagt: »Du Hure.«
    Jetzt befiehlt er Adler ebenso ruhig: »Halt!«
    Ein Stück vor dem Platz ist rechts eine Gasse, in der der Wagen nicht auffallen wird. Übrigens ist auch kein Mensch zu sehen. Nur in wenigen Fenstern schimmert Licht, denn die Dorfleute sind darauf bedacht, ihre Läden fest zu schließen. Auch die fünf Schulfenster sind dunkel, in denen er mit seinem Ball so manche Scheibe zerschmettert hat. »Kommen Sie«, sagt er zu dem Mann, der hinten sitzt. Und der antwortet herzlich und grob. »Nenn mich Stan.«
    Er schlägt mit der Hand auf seine leeren Taschen und fügt hinzu: »Dein Kumpan hat gesagt, ich brauchte nichts mitzubringen. Stimmt das?«
    Frank hat seinen Revolver bei sich. Das genügt. Adler wird im Auto auf sie warten.
    »Sicher?« fragt Frank und versucht, ihm in die Augen zu sehen.
    Herablassend und wie angewidert antwortet Adler: »Dafür bin ich ja da.«
    Der Schnee knirscht stärker als in der Stadt. Hinter den Häusern sieht man Gärten, Tannen und Hecken, die mit Eiszapfen gespickt sind. Vilmos’ Haus steht rechts am Platz, ein wenig im Hintergrund. Nirgends Lichtschein, aber die Zimmer, in denen man sich aufhält, liegen nach hinten.
    »Laß mich nur machen.«
    »Gut.«
    »Möglicherweise muß man ihnen ein bißchen Angst einjagen.«
    »Ich weiß Bescheid.«
    »Vielleicht wird es auch nötig sein, etwas handgreiflich zu

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