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Der Schnee war schmutzig

Der Schnee war schmutzig

Titel: Der Schnee war schmutzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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ziemlich richtig.
    Hier hat man ihn behandelt und ihn mehrmals ins Krankenrevier hinuntergeführt. Das wurde ihm immer besonders schwer, weil es meistens zu der Zeit war, da das Fenster offensteht.
    Vielleicht hat er sich deswegen so schnell erholt.
    Er hat nachgedacht. Am Tag nach seiner Rückkehr aus der Stadt hat er absichtlich keinen Strich in die Wand geritzt. Fünf bis sechs Tage hintereinander hat er es unterlassen. Dann hat er versucht, die früheren Striche auszulöschen.
    Sie stören ihn jetzt, denn sie sind Zeugen einer hinter ihm liegenden Zeit. Damals wußte er es noch nicht. Er glaubte, das Leben sei draußen und dachte an den Augenblick, da er wieder ins Leben zurückkehren würde.
    Merkwürdig, als er jeden Tag einen Strich in die Wand ritzte, war er verzweifelt.
    Jetzt ist er es nicht mehr. Er hat das Schlafen gelernt. Er hat gelernt, sich auf die Bretter zu pressen und seinen eigenen Geruch in den Ärmeln der Jacke einzuatmen.
    Vor allem aber hat er gelernt, daß man möglichst lange durchhalten muß und daß das allein von ihm abhängt. Er hält durch. Er hält so gut durch und ist so stolz darauf, daß er, wenn er mit der Außenwelt verkehren könnte, eine Abhandlung über die Methode des Durchhaltens verfassen würde.
    Man muß sich vor allem eine Ecke einrichten und sich tief in ihr vergraben. Hätte das aber einen Sinn für die Leute, die auf den Straßen umherschlendern?
    In den ersten Tagen zumindest hat er gefürchtet, hinuntergerufen und Lotte gegenübergestellt zu werden. Sie hatte ihm gesagt, sie hoffe, ihn wieder besuchen zu können. Man wird ihr keine Erlaubnis erteilt haben, weil man ihr Frank nicht in seinem jetzigen Zustand zeigen will. Warten sie ab, bis sein Gesicht wieder einigermaßen normal aussieht?
    Er hat es so fast ebenso gern. Entweder ist Lotte dagewesen, oder sie hat sich zu einer der Dienststellen begeben. Sie ruht und rastet nicht. Er hat den Beweis dafür, denn er hat zwei Pakete von ihr erhalten. Sie enthielten wie das erste Wurst, Speck, Schokolade, Seife und Wäsche.
    Was hat er sonst noch in den Paketen zu finden gehofft, daß er sie so gründlich durchsucht hat? Jeden Abend wird in dem Zimmer über der Aula der Vorhang zugezogen, eine Lampe geht an, und man sieht nur noch ein helles Viereck.
    Ist der Mann dann zu Hause? Hat die Frau überhaupt einen Mann? Wahrscheinlich ja. In Anbetracht des Kindes muß man es annehmen. Aber es ist auch durchaus möglich, daß er ebenfalls im Gefängnis ist oder sich außer Landes befindet.
    Wie macht er es, wenn er nach Hause kommt, um mit einemmal das Zimmer, die behagliche Wärme, die Frau und das Baby in seiner Wiege in sich aufzunehmen? Und die Küchendüfte und seine Pantoffeln, die für ihn bereitstehen?
    Trotz allem wird Lotte einmal kommen müssen. Er wird das dafür Notwendige tun. Er wird eine Zeitlang brav sein. Er wird den Anschein erwecken, als werde er allmählich mürbe.
    Er kennt sie jetzt. Am Ende erfahren sie alles, was sie erfahren wollen. Nicht jene in dem großen Gebäude in der Stadt, wo die Offiziere Zigarren rauchen und einem Zigaretten anbieten, bevor sie einen wie hysterische Frauen mit einem Lineal aus Messing schlagen! Jene sind für Frank nur Nullen.
    Die, auf die es ankommt, sind die wie der Chef mit der Brille.
    Mit ihm ist es ein anderer Kampf. Was auch kommen mag, wie der Kampf auch verlaufen mag, am Ende ist Frank der Besiegte. Der Chef wird gewinnen. Es kann nicht anders sein. Man kann nur verhindern, daß er zu schnell gewinnt. Mit viel Mühe und Selbstbeherrschung kann es einem gelingen, Zeit zu gewinnen.
    Der Chef schlägt nicht und läßt Frank auch nicht schlagen. Frank ist durchaus bereit, nach zwei Wochen persönlicher Erfahrung zu behaupten, daß der, den man am Tag seiner Einlieferung hier schlug, es verdient hatte.
    Der Chef schlägt nicht und kargt auch nicht mit seiner Zeit. Ungeduld kennt er nicht. Er scheint den General und die Banknoten zu ignorieren; er hat nie die geringste Anspielung auf sie gemacht.
    Ist es wirklich eine andere Abteilung? Bestehen zwischen den Abteilungen unübersteigbare Mauern? Vielleicht Rivalität oder noch Schlimmeres? Jedenfalls hat der Chef mit bestürztem Gesicht die Narbe betrachtet und betrachtet sie jeden Tag noch mit der gleichen Miene. Seine Verachtung gilt nicht Frank, sondern dem Offizier mit der hellen Zigarre. Er spricht nicht über ihn und tut, als ob er überhaupt nicht existierte. Er spricht nie ein Wort außerhalb des Verhörs, das trotz

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