Der Schnee war schmutzig
ging ihn nichts an. Er hätte nur zu antworten brauchen: »Wenden Sie sich an den General.«
Es war zu dumm. Eine simple Uhrengeschichte. Da Frank den General nicht persönlich kannte, hätte er hinzufügen müssen: »Ich habe die Uhren Kromer gegeben, und Kromer hat mir meinen Anteil an den Banknoten gegeben.«
Er hat kein Mitleid mit Kromer und erst recht keine Lust, seinetwegen sein Leben aufs Spiel zu setzen. Im Gegenteil, seit einiger Zeit ist Kromer einer der wenigen Menschen, wenn nicht der einzige, die er gern tot sehen würde.
Was hat sich eigentlich noch in dem Büro da oben ereignet?
Der Offizier stand vor ihm mit seinem rosigen, jovialen Gesicht und seiner hellen Zigarre. Frank hat den General nie gesehen und hatte keinen Grund, sich für ihn zu opfern. War es nicht das einfachste, ihnen zu erklären: »So hat es sich zugetragen, und Sie werden zugeben, daß ich nichts mit den Banknoten zu tun habe.«
Warum hat er das nicht gesagt? Niemand wird es je erfahren. Nicht einmal er selber. Er hat zwar zwei Tage, fünf Tage, zehn Tage später lauter verschiedene, aber auch lauter glaubwürdige Erklärungen dafür gefunden. Doch die einzige wahre Erklärung ist vielleicht die, daß es ihn nicht verlangte, wieder auf freien Fuß gesetzt und dem alltäglichen Leben zurückgegeben zu werden.
Jetzt weiß er es. In Wirklichkeit war es ganz gleichgültig, ob er etwas aussagte oder nicht, zumindest, was das Endergebnis betraf. Er hätte nichts zu antworten gewußt, wenn ihm jemand, um seine Haltung zu erklären, gesagt hätte: »Du wußtest doch, daß du sowieso dran glauben mußt.«
Das ist sonnenklar. Nicht, daß er es wußte, sondern, daß er daran glauben muß. Nur er hat diese Wahrheit erst später zugegeben.
Im Grunde hat er sich nur gewehrt, um sich zu wehren. Es war fast ein physisches ›Sich-wehren‹. Wenn man den Dingen auf den Grund ginge, könnte man sagen, er hätte so auf die beleidigende Jovialität des Offiziers antworten wollen, als er erwiderte:
»Ich bedaure.«
»Du bedauerst, was du getan hast, nicht wahr?«
»Ich bedaure ganz einfach.«
»Was bedauerst du?«
»Ich bedaure es Ihretwegen, daß ich nichts zu sagen habe.«
Obwohl er alles wußte und sich dessen bewußt war, was noch kommen würde, daß man ihn wahrscheinlich foltern und erschießen würde. Man hätte annehmen können, er tue es absichtlich.
Er erinnerte sich nur noch verworren daran. Er hat sich wie ein junger Hahn vor der Macht, der er gegenüberstand, gespreizt und sich wie ein Junge benommen, der es darauf anlegt, Ohrfeigen zu bekommen.
»Du bedauerst, nicht wahr, Friedmaier?«
»Ja.«
Er blickte dem Offizier fest in die Augen. Erhoffte er sich eine Hilfe von dem anderen, der hinter ihm unter der Lampe arbeitete? Zählte er auf die Stenotypistinnen, die im Flur vorübergingen? Dachte er sich wieder: So etwas kommt hier bestimmt nicht vor?
Jedenfalls hielt er stand. Er wollte nicht einmal mit den Augen zucken, während er immer wieder sagt: »Ich bedaure.«
Er hatte sich geschworen, auch wenn man ihn folterte, nicht das Wort General auszusprechen und auch nicht den Namen des schmutzigen Kerls, Kromer. Keinen Namen. Nichts.
»Ich bedaure.«
»Aha, du bedauerst! Sag mir genau, was du bedauerst, Friedmaier. Überlege, bevor du antwortest.«
Er hat eine dumme Antwort gegeben, aber er hat dann dafür bezahlt.
»Ich weiß es nicht.«
»Du bedauerst, nicht rechtzeitig erfahren zu haben, daß wir in die Banknoten kleine Löcher machen, nicht wahr?«
»Ich weiß nicht.«
»Du bedauerst, dieses Geld jedermann gezeigt zu haben.«
»Ich weiß nicht.«
»Und jetzt bedauerst du, so viel davon zu wissen. So! Du bedauerst, zuviel davon zu wissen, Friedmaier.«
»Ich …«
»Du wirst es bald bedauern, nichts gesagt zu haben.«
Es ging wie in einer Art Nebel vor sich. Weder der eine noch der andere kümmerte sich noch um den Sinn der Worte, die sie sagten. Sie warfen sie sich aufs Geratewohl zu wie Steine, die man aufhebt, ohne auf den Boden zu sehen.
»Ich wette, du erinnerst dich jetzt. Du erinnerst dich.«
»Nein.«
»Doch. Ich bin sicher, du erinnerst dich.«
»Nein.«
»Doch. Ein so dickes Bündel!«
Bald schien er zu spaßen, und bald nahm sein Gesicht einen grausamen Ausdruck an.
»Du erinnerst dich, Friedmaier.«
»Nein.«
»In deinem Alter erinnert man sich am Ende immer.«
Die Zigarre. Vor allem die Zigarre sieht er immer wieder vor sich, die sich seinem Gesicht näherte und sich wieder davon
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