Der Schnee war schmutzig
entfernte, und dann rötete sich das Gesicht des anderen, wurde fleckig, und die blauen Augen wurden plötzlich seltsam starr. Noch nie hatte er solche Augen gesehen, und schon gar nicht aus solcher Nähe.
»Friedmaier, du bist ein Lump.«
»Ich weiß.«
»Friedmaier, du wirst jetzt aussagen.«
»Nein.«
»Friedmaier …«
Komisch, wie die Erwachsenen ihr Leben lang weiter das tun, was sie schon in der Schule getan haben. Der Offizier hat sich wirklich wie ein größerer Schüler einem kleinen Dickschädel gegenüber benommen. Er war am Ende. Er hauchte, er flehte fast: »Friedmaier …«
Aber Frank hatte ein für allemal beschlossen, nichts zu sagen.
»Friedmaier …«
Auf dem Schreibtisch lag ein Lineal aus Messing.
Der Offizier hat danach gegriffen und hat, sich kaum noch beherrschen könnend, wiederholt: »Mein lieber Friedmaier, es ist Zeit, daß du begreifst …«
»Nein.«
Wollte Frank, daß er ihm mit dem Lineal ins Gesicht schlug? Vielleicht. Und es geschah auch in dem Augenblick, als er am wenigsten darauf gefaßt war, obwohl der andere schon das Lineal in der Hand hielt.
»Friedmaier …«
»Nein.«
Er ist kein Märtyrer und kein Held. Er ist gar nichts. Vier, vielleicht fünf Tage später hat er begriffen, was geschehen wäre, wenn er ja statt nein gesagt hätte.
Für die anderen hätte es wahrscheinlich nichts geändert. Kromer ist geflüchtet, dessen ist er so gut wie sicher. Und was den General betrifft, der schert Frank schon gar nicht. Und außerdem wird auch die Aussage eines Würstchens, wie er es ist, nicht über das Schicksal eines Generals entscheiden. Er wird von der Bildfläche verschwinden oder ist schon verschwunden. Das spielt keine Rolle.
Was wichtig ist, und was Frank erst hinterher entdeckt hat, ist, daß sein eigenes Schicksal bis auf den Schlag mit dem Lineal ins Gesicht das gleiche geblieben wäre, ob er ausgesagt hätte oder nicht.
Er weiß jetzt zuviel. Man läßt junge Burschen, die so viel wissen, nicht wieder auf die Straße. Wenn morgen der Selbstmord des Generals bekanntgegeben wird, darf es nicht einen geben, der überall erzählen könnte: »Das stimmt nicht.«
Wenn von Offizieren die Rede ist, darf niemand behaupten: »Das sind Diebe.«
In dem Augenblick dort oben hat er aber nicht daran gedacht, sondern einfach nein gesagt, und er ist jetzt nicht einmal sicher, daß er das getan hat, weil er leiden wollte. Gewiß, die Folter übte eine gewisse Anziehung auf ihn aus. Er wollte wissen, ob er ihr standhalten würde, wie er es sich so oft gefragt hatte.
Lotte sagt gern von ihm: »Er stellt das ganze Haus auf den Kopf, wenn er das Pech gehabt hat, sich beim Rasieren zu schneiden.«
Aber was Lotte sagt, ist gleichgültig. Es geht nicht um sie. Als er nein sagte, betraf das ihn allein, nicht einmal Holst und noch weniger Sissy.
Niemand soll je von seiner Freundschaft mit Kromer noch von seiner Dankesschuld dem General gegenüber reden. Er hat für sich selbst nein gesagt, ganz einfach für sich, um zu sehen, was daraus würde.
Und als der dicke Offizier seine Selbstbeherrschung verlor, hat er zwei- oder dreimal wiederholt: »Begreifst du? Begreifst du?«
Frank hat gewiß sein verstocktestes Gesicht gemacht, jenes Gesicht, das Lotte in Wut versetzt. Er rächte sich damit für vieles – die Bilanz wird er erst später aufstellen –, jedenfalls trieb er bewußt mit einer fast mathematischen Berechnung den Offizier zum Äußersten.
»Du wirst schon …«
»Nein.«
»Du wirst, nicht wahr …«
»Nein.«
Und da saust das Lineal ihm quer durchs Gesicht. Frank hat es kommen sehen. Bis zur letzten Sekunde hätte er ja sagen oder sich notfalls bücken können. Er hat aber nicht mit der Wimper gezuckt, und dann gab es ein lautes Knacken von Knochen.
Er wollte diesen Schlag. Er hatte Angst davor, aber er wollte ihn. Er hat ihn im ganzen Körper gespürt, vom Kopf bis zu den Füßen. Er hat die Augen geschlossen und gehofft, er werde sich am Boden liegend wiederfinden, aber er ist aufrecht stehen geblieben.
Das Schwierigste – das einzig Schwierige im Grunde – war, sich nicht die Hand vors Gesicht zu halten. Dennoch hatte er das Gefühl, daß sein linkes Auge aus der Augenhöhle heraushinge.
Wie bei der Katze von Frau Porse! Die Katze von Frau Porse hat ihn an Sissy erinnert. Wenn man ihr angetan hat, was er ihr angetan hat – hat man dann das Recht über ein Auge zu murren?
Das Blut floß überallhin, über das Kinn, auf den Hals, aber er hat nichts
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