Der Schnee war schmutzig
Unten ist es sehr warm. In den ersten Tagen hat er darunter gelitten, weil er seinen Mantel anbehalten hatte. Jetzt friert er lieber auf dem Gang oder auf der Treppe. Der Weg ist so kurz, daß er sich dabei nicht erkälten kann.
Er besitzt keinen Spiegel, aber er fühlt, daß er gerötete Augenlider hat wie jene, die nicht genug schlafen. Sie sind heiß und stechen. Seine Haut ist gespannt und empfindlich.
Er geht hinter dem Zivilisten und vor dem Soldaten, und während dieser paar Minuten schläft er weiter. Er schläft auch noch, wenn sie das kleine Gebäude betreten, wo man ihn manchmal lange – eine Stunde? – auf der Bank in dem ersten Raum warten läßt, obwohl niemand bei dem Chef ist.
Dort ruht er sich weiter aus. Es ist eine Sache der Gewohnheit. Er hört Geräusche, bisweilen Stimmen und in regelmäßigen Abständen den Lärm der Straßenbahn. Kindergeschrei dringt sogar bis hierher, vermutlich ist in der Nähe gerade die Schule aus.
Die Kinder haben einen Lehrer. Die meisten Erwachsenen haben einen Chef, den Bürovorsteher, den Leiter der Werkstatt oder den Besitzer.
Jeder hat seinen Chef. Frank hat das eingesehen, und darum grollt er ihm nicht. Im Raum nebenan blättert man in Papieren. Dann erscheint ein Zivilist in der Tür und macht ihm ein Zeichen wie beim Arzt oder Zahnarzt. Er erhebt sich.
Warum bleiben zwei Zivilisten in dem Zimmer? Er hat darüber nachgedacht und mehrere Erklärungen gefunden, die ihn jedoch nicht befriedigen. Bald sind es jene, die ihn an dem Tag, da das mit dem Messinglineal passiert ist, in die Stadt gebracht haben. Bald ist es der, der ihn in der Grüngasse verhaftet hat, und dann sind es wieder andere. Aber sie sind nicht zahlreich. Sieben oder acht insgesamt, die sich ablösen. Sie tun nichts und sitzen nicht vor einem Schreibtisch. Niemals beteiligen sie sich an dem Verhör. Zweifellos würden sie es nicht wagen. Sie bleiben mit gleichmäßigem Gesicht stehen.
Sollen sie ihn daran hindern, zu fliehen oder den Chef zu erdrosseln? Vielleicht. Aber im Hof befinden sich bewaffnete Soldaten, und man könnte vor jede Tür einen Posten stellen.
Es kann auch sein, daß sie einander nicht trauen. Der so lächerlich scheinende Gedanke, daß diese Männer da sind, um das Tun und Lassen des Chefs zu überwachen und sich seine Worte zu merken, ist vielleicht gar nicht so abwegig. Wer weiß? Vielleicht ist unter ihnen einer, der mächtiger ist als der Chef. Vielleicht weiß der nicht einmal, welcher es ist. Vielleicht zittert er sogar bei dem Gedanken an die Berichte, die über ihn an eine höhere Dienststelle geschickt werden.
Äußerlich wirken sie wie Statisten. Sie erinnern an die Ministranten, die den Pfarrer während der Messe umgeben. Sie setzen sich nicht und rauchen nicht.
Der Chef dagegen raucht die ganze Zeit. Das ist ungefähr das einzig Menschliche an ihm. Er raucht eine Zigarette nach der anderen. Auf seinem Schreibtisch steht ein viel zu kleiner Aschenbecher, und es ärgert Frank, daß niemand daran denkt, ihn durch einen größeren zu ersetzen. Es ist ein grüner Aschenbecher, der die Form eines Weinblatts hat. Schon bei dem Morgenverhör ist er übervoll von Stummeln und Asche.
In dem Raum befinden sich ein Ofen und ein Kohleneimer. Es würde schon genügen, hin und wieder, ein- oder zweimal am Tag den Aschenbecher in den Kohleneimer auszuleeren.
Aber man tut es nicht. Vielleicht will er es nicht. Die Stummel häufen sich an und sind schmutzig. Der Chef raucht, ohne je seine Zigarette aus dem Mund zu nehmen. Er lutscht sie, läßt sie ausgehen, zündet sie wieder an, befeuchtet das Papier mit Speichel und kaut an den Tabakresten.
Seine Fingerspitzen sind braun, seine Zähne ebenfalls, und zwei kleine Flecken ober- und unterhalb der Lippen zeigen, wo er die Zigarette im Mund hält.
Das Merkwürdigste bei einem Mann wie ihm ist, daß er sie selber dreht. Er scheint den äußeren Dingen keinerlei Bedeutung beizumessen. Man fragt sich, wann er ißt, wann er schläft, wann er sich rasiert. Frank erinnert sich nicht, ihn jemals frisch rasiert gesehen zu haben. Dennoch zieht er mitten während eines Verhörs einen Beutel aus Schweinsleder aus der Tasche, der Tabak enthält. Aus einer Westentasche nimmt er das Zigarettenpapier. Er ist von peinlicher Genauigkeit. Es dauert unendlich lange, bis er eine Zigarette gedreht hat. Ist das auch ein Trick?
Heute nacht, es war schon fast Morgen, gegen Ende des Verhörs hat er mit ihm über Berta gesprochen. Wie immer, wenn
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