Der Schnee war schmutzig
ihn nach Ressl, dem Chefredakteur, gefragt. Frank hat geantwortet, er kenne ihn nicht, er habe nur einmal mit ihm gesprochen.
»Wer hat Sie ihm vorgestellt?«
Immer wieder Kromer. Es wäre viel einfacher und weniger ermüdend, ihn ein für allemal mit einzubeziehen, zumal er, soweit es Frank beurteilen kann, sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht hat.
Man hat ihn nach Leuten gefragt, die er nicht kennt. Man hat ihm Fotos gezeigt. Entweder wollten sie ihn damit irre machen oder zum Äußersten treiben, oder die glauben, er wisse viel mehr, als er in Wirklichkeit weiß.
Als er aus dem Büro kam, roch die Luft nach Rauch. Hat er das offene Fenster gesehen? Er weiß es nicht mehr. Er hat es gesehen, aber er könnte es nicht beschwören. Vielleicht hat er es nur geträumt. Er hat jedoch gewiß die Augen geöffnet, davon ist er überzeugt.
Er weiß überhaupt nichts mehr. Und schon holt man ihn wieder aus dem Bett. Er geht hinter dem Zivilisten und vor dem Soldaten. Er hat Zeit. Sonst läßt man ihn immer auf der grau gestrichenen Bank warten, aber diesmal führt man ihn sofort in das Büro.
Und dort befinden sich Lotte und Minna.
Blickt er sie verdrossen an? Er weiß es nicht. Er sieht, wie seine Mutter zusammenfährt und den Mund öffnet, als wolle sie einen Schrei ausstoßen, sich dann aber beherrscht und in einem mitleidigen Ton, den er nicht begreift, stammelt: »Frank.«
Sie muß sich in eins ihrer Spitzentaschentücher schneuzen, das sie wie immer zu stark parfümiert hat. Minna hat sich nicht gerührt und nichts gesagt. Sie ist sehr blaß, und Tränen rollen über ihre Wangen …
Er hatte gar nicht mehr daran gedacht. Es ist der Zähne wegen, die ihm fehlen. Wahrscheinlich auch wegen seiner geröteten Augenlider, seiner Bartstoppeln und seiner zerknitterten Jacke. Er hat sich nicht die Mühe gegeben, das Hemd zu wechseln.
Das rührt die beiden natürlich. Ihn aber nicht. Er ist fast ebenso eisig wie der Chef. Er hat sofort gesehen, daß Lotte ihren besten Staat angelegt hat. Das tut sie jedesmal, wenn sie vornehm wirken will. So ähnlich war sie auch immer angezogen, wenn sie ihn im Internat besuchte, und damals schon, obgleich es zu der Zeit noch nicht Mode war, trug sie einen hellen Halbschleier.
Sie duftet nach Seife und Puder. Sie kommt also von zu Hause. Wenn sie im Gefängnis säße, hätte sie keine Möglichkeit gehabt, sich so sorgfältig herzurichten. Warum hat sie Minna mitgebracht? Wenn man die beiden sieht, könnte man wirklich denken, es seien die Mutter und eine kleine Kusine, die einen jungen Mann besuchen. In ihrem marineblauen Kostüm und ihrer weißen Bluse wirkt Minna ganz wie eine Kusine, und sie hat sich kaum geschminkt. Sie ist übrigens auch magerer geworden.
Er späht nach dem Koffer aus, nach dem Paket, das sie mitgebracht haben. Es ist aber keins in dem Raum zu sehen, und da glaubt er zu verstehen. Lottes Verlegenheit beweist ihm, daß er recht hat. Sie weiß nicht, wie sie anfangen soll. Sie sieht viel mehr den Chef als ihren Sohn an, vielleicht weil sie Frank damit zu verstehen geben will, daß sie nicht freiwillig gekommen ist.
»Man war so freundlich, uns zu gestatten, dich zu besuchen, Frank. Da habe ich gefragt, ob ich Minna mitbringen dürfe, die immer von dir spricht, und der Herr hat es liebenswürdigerweise erlaubt.«
Das ist nicht wahr. Frank möchte schwören, es war der Einfall des Chefs. Vor vierzehn Tagen hat er sich mit Berta befaßt, vor acht Tagen mit Anny. Jetzt ist er bei Minna angelangt. Er braucht sich nicht zu beeilen, da sie hier ist. Minna ist verlegen und sieht weg.
Frank glaubt nicht an einen Zufall. Der Chef hat endlich begriffen, daß es unter allen Mädchen, die bei seiner Mutter waren, eine gab, für die Frank etwas mehr empfunden hat. Und das war Minna.
In Wirklichkeit liebt Frank sie nicht. Er ist absichtlich hart zu ihr gewesen. Er entsinnt sich nicht mehr genau, was er ihr angetan hat. Er hat draußen manches getan, was er aus seinem Gedächtnis gestrichen hat. Dennoch hat er Minna gegenüber so etwas wie ein schlechtes Gewissen. Er ist sich bewußt, daß er sich gegen sie nicht anständig verhalten hat.
Sie stehen alle drei. Das ist ein wenig lächerlich. Der Chef merkt es als erster und läßt für Lotte und ihre Begleiterin Stühle bringen. Mit der Hand deutet er auf den Schemel und erlaubt Frank, auf ihm Platz zu nehmen.
Dann setzt er wieder sein gleichgültiges Gesicht auf. Wenn man ihn so sieht, könnte man glauben, ihn betreffe
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