Der Schnee war schmutzig
Geheimnis. Nicht darum, weil der Mantel etwas wert ist. Und wenn der Stoff auch noch so dick ist, die Kugeln dringen hindurch. Vielleicht soll die Szene dadurch nur noch trister wirken.
Würde Frank seinen Jackenkragen auch hochschlagen? Vielleicht. Er denkt nicht darüber nach. Er denkt nur selten daran. Er ist übrigens davon überzeugt, daß man ihn nicht auf dem Hof in der Nähe der Halle, in der die Pulte aufeinander gestapelt sind, erschießen wird.
Die da sind Männer, die abgeurteilt sind, die ein Verbrechen begangen haben, das man ahnden kann, wobei man notfalls ein wenig mogelt.
Wenn man ihn hätte aburteilen müssen, wäre er höchstwahrscheinlich in das Büro des Offiziers mit dem Messinglineal zurückgebracht worden.
Wenn alles zu Ende ist, wenn der Chef ehrlich davon überzeugt ist, daß er aus Frank alles herausgeholt hat, was man aus ihm herausholen kann, wird man ihn ohne Zeremoniell ins Jenseits befördern. Er weiß noch nicht, wo. Er kennt das Haus noch nicht genügend. Man wird ihn auf einer Treppe oder in einem Flur von hinten erschießen. Sicherlich gibt es auch einen Keller für diesen Zweck.
Aber es wird ihm gleichgültig sein. Er hat keine Angst. Seine einzige Furcht, sein Alptraum ist, daß das zu schnell geschieht, noch ehe er mit allem fertig ist.
Und wenn es dann soweit ist, wird er sagen: »Erschießen Sie mich.«
Wenn er einen letzten Wunsch äußern dürfte, würde er sie bitten, ihn, während er flach auf dem Bauch liegt, im Bett zu erschießen.
Beweist das alles nicht, daß der Chef so etwas wie die Vorsehung ist? Er wird noch Neues entdecken. Jeden Tag entdeckt er Neues. Frank muß an alles zugleich denken, an Timo ebenso wie an die Leute, die er bei Taste getroffen hat, und an die Mieter im Haus. Dieser alte Teufel mit der Brille verwirrt alles absichtlich.
Was hat er jetzt wieder entdeckt? Er hat bedächtig seine Brille mit einem großen bunten Taschentuch geputzt, das immer aus seiner Hosentasche hervorguckt. Er hat wie gewöhnlich mit seinen Zetteln gespielt. Jemandem, der ihn durch das Fenster beobachtete und nicht Bescheid wüßte, müßte es fast wie eine Lotterie oder wie ein Lotto erscheinen. Er tut wirklich so, als fischte er aufs Geratewohl einen Zettel heraus. Dann dreht er sich mit aufreizender Langsamkeit eine Zigarette. Er streckt die Zunge heraus, um das Papier anzufeuchten, und sucht nach seiner Streichholzschachtel.
Er findet seine Streichhölzer nie, die unter dem Papierberg vergraben sind. Er sieht Frank nicht an. Er sieht ihm überhaupt nur selten in die Augen und dann vollkommen gleichgültig. Wer weiß, ob die beiden anderen, die Ministranten, nicht nur darum da sind, um Franks Reaktionen zu beobachten, und ob sie nicht hinterher einen Bericht darüber schreiben?
»Kennen Sie Anna Loeb?«
Frank verzieht keine Miene. Schon lange verzieht er keine Miene mehr. Er denkt nach. Es ist ein Name, den er nicht kennt, aber das will noch nichts sagen. Genauer gesagt, er kennt den Namen Loeb wie jedermann, die Brauerei Loeb, deren Bier er trinkt, seit er überhaupt Bier trinkt. Dieser Name steht in dicken Buchstaben an Häusergiebeln, an Cafés, an Lebensmittelläden, auf Kalendern und sogar auf den Fensterscheiben der Straßenbahnen.
»Ich kenne das Bier.«
»Ich frage Sie, ob Sie Anna Loeb kennen.«
»Nein.«
»Aber sie war eines der Mädchen, die für Ihre Mutter arbeiteten.«
Es handelt sich also um jemand, der denselben Namen hat.
»Sie mögen recht haben. Ich weiß es aber nicht.«
»Sicherlich hilft dies Ihrer Erinnerung auf die Sprünge.«
Er nimmt ein Foto aus einer Schublade und reicht es ihm. Er hat immer einen großen Vorrat an Fotos. Frank unterdrückt nur mühsam den Ausruf: »Anny!«
Denn sie ist es. Aber eine Anny, die ganz anders aussieht als die, die er gekannt hat. Vielleicht weil sie flott angezogen ist, ein Sommerkleid und einen großen Strohhut trägt, sich lächelnd bei einem Begleiter eingehängt hat, dessen Bild der Chef mit seinem Daumen verdeckt.
»Kennen Sie sie?«
»Ich bin nicht sicher.«
»Sie hat in der letzten Zeit in derselben Wohnung gelebt wie Sie.«
»Das ist möglich.«
»Sie hat gesagt, sie habe mit Ihnen geschlafen.«
»Auch das mag sein.«
»Wie oft?«
»Ich weiß es nicht.«
Ob Anny verhaftet worden ist? Bei denen kann man nie wissen. Sie können einem etwas vormachen, um die Wahrheit zu erfahren. Das gehört zu ihrem Beruf. Frank läßt sich durch die Zettel nie ganz irreführen.
»Warum haben Sie
Weitere Kostenlose Bücher