Der Schnee war schmutzig
sie zu Ihrer Mutter gebracht?«
»Ich?«
»Ja, Sie.«
»Aber ich habe sie nicht zu meiner Mutter gebracht.«
»Wer dann?«
»Ich weiß es nicht.«
»Wollen Sie behaupten, sie sei von sich aus gekommen?«
»Das wäre durchaus möglich.«
»In dem Fall müßte man annehmen, daß ihr jemand Ihre Adresse gegeben hat.«
Er begreift noch nicht, wittert eine Falle und antwortet nicht. So kommt es immer wieder zu langen Pausen, wodurch diese Verhöre eine Ewigkeit dauern.
»Die Tätigkeit Ihrer Mutter ist verboten, und es erübrigt sich darum, weiter darüber zu sprechen.«
Das kann ebensogut bedeuten, daß Lotte ebenfalls verhaftet worden ist.
»Ihre Mutter hatte darum ein Interesse daran, daß möglichst wenig Leute etwas von ihrer Tätigkeit wüßten. Wenn Anna Loeb zu ihr gekommen ist, dann, weil sie wußte, daß sie dort Unterschlupf finden konnte.«
Das Wort Unterschlupf ist für Frank eine Warnung. Er muß zugleich gegen den Schlaf und gegen unklare Gedanken ankämpfen, die sich bei der geringsten Unaufmerksamkeit seiner bemächtigen und die er nur ungern von sich schiebt, weil sie in Wirklichkeit jetzt sein ganzes Leben sind. Wie ein Schlafwandler wiederholt er: »Unterschlupf.«
»Behaupten Sie, Sie wüßten nichts von Anna Loebs Vergangenheit?«
»Ich habe nicht einmal ihren Namen gekannt.«
»Wie ließ sie sich nennen?«
Das ist es, was er ›etwas zugeben‹ nennt. Er muß es tun.
»Anny.«
»Wer hat sie zu Ihnen geschickt?«
»Niemand.«
»Hat Ihre Mutter sie ohne jede Empfehlung aufgenommen?«
»Sie war ein schönes Mädchen und war bereit, sich mit Männern einzulassen. Mehr verlangt meine Mutter nicht.«
»Wie oft haben Sie mit ihr geschlafen?«
»Das weiß ich nicht mehr.«
»Waren Sie in sie verliebt?«
»Nein.«
»War sie es?«
»Ich glaube nicht.«
»Aber Sie haben miteinander geschlafen?«
Ist er eine Art Puritaner oder ein Lüstling, daß er diesen Fragen solche Bedeutung beimißt? Oder ist er impotent? Als von Berta die Rede war, hat er die gleichen Fragen gestellt.
»Was hat sie Ihnen gesagt?«
»Sie sagte nie etwas.«
»Womit verbrachte sie ihre Zeit?«
»Sie las Illustrierte.«
»Illustrierte, die Sie ihr holten?«
»Nein.«
»Wie beschaffte sie sie sich? Ging sie aus?«
»Nein. Ich glaube, sie ist niemals ausgegangen.«
»Warum nicht?«
»Ich weiß es nicht. Sie ist nur ein paar Tage dageblieben.«
»Versteckte sie sich?«
»Ich habe nicht den Eindruck gehabt.«
»Wie kam sie an die Illustrierten?«
»Sie muß sie mitgebracht haben.«
»Wer warf ihre Briefe in den Kasten?«
»Niemand, nehme ich an.«
»Hat sie Sie nie gebeten, Briefe zur Post zu bringen?«
»Nein.«
»Auch nicht, jemandem von ihr etwas auszurichten?«
»Nein.«
Es ist leicht, weil es wahr ist.
»Schlief sie mit den Kunden?«
»Das mußte sie schon.«
»Mit wem?«
»Ich weiß es nicht. Ich war nicht immer da.«
»Aber wenn Sie da waren?«
»Ich habe mich nicht darum gekümmert.«
»Waren Sie nicht eifersüchtig?«
»Nicht im geringsten.«
»Sie ist doch hübsch.«
»Ich bin daran gewöhnt.«
»Kamen Kunden nur ihretwegen?«
»Das müssen Sie meine Mutter fragen.«
»Man hat es sie schon gefragt.«
»Was hat sie geantwortet?«
Man zwingt ihn so fast jeden Tag, sich das Leben zu Hause wieder zu vergegenwärtigen. Er spricht mit einer Gleichgültigkeit davon, die den Chef sicherlich überrascht, um so mehr, als er spürt, daß Frank ehrlich ist.
»Hat sie nie jemanden angerufen?«
»Im ganzen Haus funktioniert nur ein Apparat, der des Portiers.«
»Ich weiß.«
Nun, warum fragt er dann?
»Haben Sie diesen Mann schon einmal gesehen?«
»Nein.«
»Und den da?«
»Nein.«
»Diesen?«
»Nein.«
Es sind Gesichter, die er nicht kennt. Warum ist der Chef darauf bedacht, einen Teil der Fotos zu verdecken, nur das Gesicht sehen zu lassen, so daß Frank nicht einmal erkennen kann, was die Leute anhaben? Natürlich, weil es Offiziere sind. Vielleicht sind es sogar höhere Offiziere.
»Wußten Sie, daß Anna Loeb gesucht wurde?«
»Davon habe ich nie etwas gehört.«
»Wußten Sie auch nicht, daß ihr Vater erschossen worden ist?«
Tatsächlich ist vor mindestens einem Jahr der Brauereibesitzer Loeb erschossen worden, weil man ein geheimes Waffenlager in den Kesseln seiner Brauerei entdeckt hatte.
»Ich wußte nicht, daß das ihr Vater war. Ich kannte ihren Familiennamen nicht.«
»Dennoch hat sie bei Ihnen Unterschlupf gesucht.«
Das ist wirklich erstaunlich.
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