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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Doktor lief hinterdrein, gelegentlich gab er dem Mobil einen Stoß gegen die Lehne der Sitzbank. Es schneite und schneite. Mitunter so stark, dass es dem Doktor schien, als liefen sie am Ufer eines Sees im Kreis. Mal war das Licht vor ihnen verschwunden, mal wieder zu sehen.
    Mussten wir ausgerechnet auf diese Pyramide fahren, so haderte der Doktor im Stillen, die Hand an der Rückwand des Mobils. Ich könnte längst in Dolgoje sein. Der Kosma hat recht: Es sind viel zu viele unnütze Dinge in der Welt … Die werden fabriziert, breitgekarrt über Städte und Dörfer, die Leute zum Kauf animiert, man verdient sich am schlechten Geschmack eine güldene Nase. Die Leute kaufen das Ding und freuen sich, ohne zu merken, wie nutzlos und dämlich es doch eigentlich ist. Und eins von diesen beschissenen Dingern hat uns heute aufs Kreuz gelegt …
    Der Krächz hingegen, der alle Hände voll zu tun hatte, das ewig nach rechts wegdriftende Mobil auf die Straße zurückzubefördern, dachte an den verhassten Müller und daran, dass er sich schon zweimal gelobt hatte, nicht mehr zu ihm zu fahren, und nun war es wieder nicht zu umgehen.

    Anscheinend war das Gelübde zu schwach. Beim Herrn, dem Erlöser, hab ich gelobt, dass ich den Fuß nie mehr über seine Schwelle setz. Und bin dahier schon wieder auf dem Weg. Hätt ich nen gewichtigeren Schwur getan, so wärs nich passiert, die Engel hätten mich auf ihrn Schwingen an der Mühle vorbeigetragen. So aber steh ich wieder vor dem seiner Tür und muss bitten. Oder wärs besser, erst gar kein Gelübde zu tun? Wie der alte Großvater immer gesagt hat: Des Satans Wispern überhörn – nur ja nix beschwörn! …
    Endlich tauchten aus dem Schnee die zwei schiefen, halb unter Schneewehen begrabenen Salweiden hervor und dahinter das Haus des Müllers mit den zwei erleuchteten Fenstern; es stand hart am Fluss, hing halb darüber. Das eingefrorene Wasserrad dünkte den Doktor im Schneetreiben eine runde Treppe, die aus dem Haus in den Fluss führte. Das Ganze sah so einleuchtend aus, dass er an dieser Bewandtnis nicht zweifelte; für irgendetwas musste die Treppe gut und wichtig sein; möglich, dass es mit der Fischerei in Zusammenhang stand.
    Das Mobil kroch auf das Haus des Müllers zu.
    Hinter dem Tor fing der Hund zu bellen an. Der Krächz stieg ab, ging zum Haus und klopfte an eins der erhellten Fenster. Es dauerte eine Weile, bis die Pforte im Tor einen Spalt aufging und eine in der Finsternis nicht näher zu erkennende Gestalt darin auftauchte.
    »Ja?«
    »Grüß dich«, sagte der Krächz und trat vor ihn hin.
    »Ach, du bists«, erkannte ihn der andere.
    Der Krächz hatte ihn auch gleich erkannt, obwohl der Mann erst seit diesem Jahr beim Müller Geselle war.
    »Bin auf dem Weg nach Dolgoje mit dem Doktorchen da, und jetzt haben wir nen Kufenbruch, das repariert sich schlecht bei dem Wind und Schnee.«

    »Ah … Warte.«
    Die Pforte schloss sich wieder.
    Ein paar lange Minuten verstrichen, dann machte sich wer hinter dem Tor zu schaffen. Ein Riegel wurde zurückgezogen, und das Tor tat sich knarrend auf.
    »Reinfahren aufn Hof!«, rief der Geselle von vorhin im Befehlston.
    Der Krächz schmatzte laut mit den Lippen und lenkte das Mobil zwischen die Torflügel und auf den Hof hinein. Der Doktor folgte. Hinter ihm schloss und verriegelte der Geselle das Tor gleich wieder.
    »Hierher bitte schön, Herr Doktor«, ertönte eine Frauenstimme vom Vordach des Hauses her.
    Der Doktor ging der Stimme nach.
    »Nicht stolpern!«, warnte die Stimme.
    Eben hatte Platon Garin die Umrisse der Tür wahrgenommen, da stolperte er tatsächlich über die unterste Stufe und musste sich an der Frau festhalten, um nicht zu stürzen.
    »Bloß nicht!«, mahnte sie, während sie ihn hielt.
    Von dem Weib ging ein ländlicher Geruch aus, wie sauer Milch. Sie hielt eine Kerze in der Hand, die es gleich ausgeblasen hatte. Sie war das Weib des Gesellen. Jetzt geleitete sie den Doktor durch den Flur, öffnete eine Tür. Der Doktor trat in ein geräumiges, nach hiesigen Maßstäben reich und solide ausgestattetes Bauernhaus. Zwei große Petroleumlampen erleuchteten den Raum. Als da waren: zwei Öfen, ein russischer und ein gekachelter; zwei Tische, ein Küchen- und ein Esstisch; Truhen, Bänke, Regale mit Geschirr; in der Ecke das Bett; der Radioempfänger, mit gehäkeltem Deckchen darauf; das Porträt des Gossudaren im unauslöschlichen regenbogenschillernden Rahmen, die Porträts der Gossudarentöchter Anna und

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