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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Ofen. Weil, wenn er die Brotfuhre macht, ist er anschließend immer gleich beim Oheim zum Teetrinken und Schwätzen. Sodass wir unser Brot nie vor dem Abend kriegen.«
    »Der Mann hat Pferde?«
    »Er hat ein Mobil.«
    »Ein Mobil?«
    Der Doktor holte stirnrunzelnd sein Zigarettenetui hervor.
    »Wenn Sie ihn überreden könnten, brächte er Sie mit dem Mobil nach Dolgoje.«
    »Und was ist mit meinen?«, fragte Garin, die Stirn in Falten, da ihm in dem Moment sein Schlitten samt Kutscher und Gespann im Stall einfiel.
    »Die könnten dahier warten, bis dass Sie zurück sind. Dann könnten Sie mit denen gleich wieder nach Hause fahren.«
    Der Doktor rauchte an, tat einen tiefen Zug.
    »Und wo ist er, dein Brotkutscher?«, fragte er, den Rauch ausstoßend.
    »Nicht weit von hier«, sagte der Stationsvorsteher und wies mit dem Daumen über seine Schulter. »Mein Wasja bringt Sie hin. Wassilein!«
    Es blieb still.
    »Er wird drüben im Neubau sein«, sagte die Frau des Stationsvorstehers hinter dem Kattun, trat hervor und verließ den Raum, ihr Rock schleifte über die Dielen. Der Doktor nahm seinen langen, schweren Parka mit Biberlammfutter vom Haken, fuhr hinein, setzte die Trappermütze mit Fuchsschwanz auf, legte den langen weißen Schal um, zog die Handschuhe über, ergriff die beiden großen Bügeltaschen und trat entschlossen überdie Schwelle der vom Stationsvorsteher aufgehaltenen Tür hinaus in den dunklen Flur.
    Der Landarzt Platon Iljitsch Garin war ein großer, kräftiger zweiundvierzigjähriger Mann mit einem steten Ausdruck konzentrierter Unzufriedenheit im schmalen, sorgfältig glatt rasierten Gesicht. ›Ihr haltet mich ab von dem, was meine hehre und einzige Pflicht und Bestimmung ist, was ich besser kann als ihr alle und womit ich den größten Teil meines erwachsenen Lebens zugebracht habe‹ – so schien dieses Gesicht mit der großen, geraden Nase und den verschwommenen Augen sagen zu wollen. Im Vorhaus stieß er auf die Frau des Stationsvorstehers und Sohn Wasja, der ihm sogleich die beiden Taschen abnahm.
    »Das siebte Haus von hier«, gab der Stationsvorsteher ihm auf den Weg, während er vorauseilte und die Tür nach draußen öffnete. »Sei so gut, Wassilein, und bring das Herr Doktorchen.«
    Garin trat ins Freie und blinzelte. Es war nicht sehr kalt, ein paar Grad unter null, bedeckt; immer noch, wie vor drei Stunden, wehte es feinen Schnee vom Himmel.
    »Gar zu viel wird er von Ihnen nicht verlangen«, mutmaßte der Stationsvorsteher, fröstelnd im Wind. »Er ist nicht sehr auf Gewinn aus. Hauptsache, er lässt sich bewegen.«
    Wasja stellte die Taschen auf der in die Veranda eingezimmerten Bank ab, verschwand noch einmal im Haus und kam in einer Pelzjoppe, Mütze und Filzstiefeln wieder, ergriff die Taschen, tappte die Stufen hinunter und in den angewehten Schnee hinein.
    »Bitte, der Herr.«
    Der Doktor folgte ihm mit dampfender Papirossa. Sie stapften die verwaist und verweht daliegende Dorfstraße entlang. Es war reichlich Neuschnee gefallen, und diepelzgefütterten Stiefel des Doktors versanken beinahe bis zur Hälfte des Schafts.
    Weht ganz schön, dachte Garin, der hastig noch ein paarmal an der Zigarette zog, ehe der Wind sie ihm herunterbrannte. Der Teufel muss mich geritten haben, den kurzen Weg über diese verhexte Station zu nehmen. So ein Krähwinkel! Völlig aussichtslos, hier im Winter auf Pferde zu hoffen. Wollte erst nicht und bin dann doch hier langgefahren, ich Dummkopf
Anmerkung
. Hätt ich die Poststraße genommen und in Saprudny die Pferde gewechselt, auch wenn die Strecke sieben Werst länger ist, ich wäre längst am Ziel. Die Station ist in Schuss, die Trasse ordentlich breit. Ich Dämlack, ich! Jetzt muss ich es ausbaden …
    Vor ihm stiefelte Wasja munter durch den Schnee, die zwei gleichen Bügeltaschen schwenkend wie Dorfweiber die Eimer unterm Tragejoch. Die zur Station gehörende Siedlung Dolbeschino nannte sich Dorf, war aber kaum mehr als ein Weiler, der aus einem Dutzend weit auseinanderliegender Häuser bestand. Während sie sich auf der dick überpuderten Landstraße dem Anwesen des Brotkutschers näherten, kam Garin in seinem langen Parka ein wenig ins Schwitzen. Um das alte, in sich zusammengesunkene Hüttchen herum war alles verweht, es gab keine Spuren, nichts, was darauf hinwies, dass da jemand wohnte – wäre nicht der weiße Rauch gewesen, den der Wind fetzenweise aus dem Schornstein riss.
    Durch ein nachlässig abgezäuntes Gärtchen gingen die zwei

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