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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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entzündete seine Zigarette, verstaute das Feuerzeug, dann verbeugte es sich zum Doktor hin.
    »Semjon Markowitsch. Müller.«
    »Doktor Garin. Ihre Frau und Sie haben denselben Vatersnamen?«
    »So ist es!«, lachte das Männlein und schwankte, wolltesich am Samowar festhalten, zuckte zurück. »Markowna und Markowitsch. Zufall! Au, Scheiße noch ma…«
    »Lass das Fluchen«, wies die Müllerin ihn zurecht. »So setzen Sie sich doch, Doktor, trinken Sie ein Schlückchen Tee. Und ein Schnäpschen wär bei dem Wetter auch keine Sünde.«
    »Wahrlich nicht«, bekräftigte der Doktor, der tatsächlich nicht übel Lust auf ein Gläschen hatte.
    »Wie auch! Ein Gläschen zum Tee tut niemandem weh!«, krähte der Müller, wankte zur Flasche, umarmte sie und schlug mit der flachen Hand dagegen, dass es klatschte.
    Die Flasche war genauso groß wie er.
    Der Doktor ließ sich am Tisch nieder, Awdotja stellte einen Teller vor ihn hin und ein Schnapsglas, legte eine dreizinkige Gabel daneben. Die Müllerin ergriff die Flasche, wobei sie den Müller damit sachte zur Seite stieß; er plumpste unsanft auf den Tisch, mit dem Rücken gegen einen Kanten Roggenbrot. Sie goss dem Doktor ein.
    »Wohl bekomms, auf Ihre Gesundheit!«
    »Und ich?«, fragte der Müller paffend.
    »Du hast genug. Sitz still und rauche.«
    Der Müller widersprach nicht. Saß da, gegen den Brotkanten gelehnt, und qualmte.
    Der Doktor erhob das Gläschen, kippte es wortlos und ohne zu zögern, die Zigarette in der Linken; hakte einen Bissen Sauerkraut auf die Gabel und ließ ihn dem Schnaps folgen. Die Müllerin tat ihm einen Streifen hausgemachten Schinken auf, dazu eine Kelle Bratkartoffeln mit Speck.
    »Markowna, haben Sie noch einen Wunsch?«, fragte Awdotja.
    »Nein. Du kannst in dein Zimmer gehen. Aber schick vorher den Krächz zu uns.«

    Awdotja ging hinaus.
    Der Doktor tat noch zwei, drei rasche Züge, dann drückte er die Zigarette in dem kleinen Granitaschenbecher aus, der voller winziger Kippen war, und machte sich gierig ans Essen.
    »Den Krä-ä-ächz!«, echote der Müller verächtlich und verzog seinen ohnehin hässlichen Froschmund zu einer noch abstoßenderen Grimasse. »Da haben wir ja einen feinen Gast aufgegabelt! Den Krächz! Den Lumpenhund! Den Scheißkerl!«
    »Uns ist jeder Gast lieb«, sprach die Müllerin gelassen und goss sich einen Schnaps ein; mit dem Anflug eines Lächelns wandte sie sich dem Doktor zu, übersah ihren Mann geflissentlich.
    Platon Garin nickte mit vollem Mund.
    »Schenk mir auch was ein!«, schrie der Müller weinerlich.
    Die Müllerin, die ihr Glas schon erhoben hatte, setzte es seufzend wieder ab, nahm die Flasche und schwappte ein wenig Schnaps in den stählernen Fingerhut, der auf einem kleinen Plastiktisch stand. Diesen Tisch, das gängige Modell für Kleinwüchsige, hatte der Doktor nicht gleich bemerkt. Er stand zwischen dem Schinkenteller und dem Glas mit den Gewürzgurken. Neben dem blitzenden Fingerhut gab es da Becherchen und Tellerchen mit den gleichen Speisen, wie sie auf dem großen Tisch für die normalen Menschen standen, je ein Scheibchen davon: ein Scheibchen Schinken, ein Scheibchen Speck, ein Scheibchen Gewürzgurke, ein Bröckchen Brot vom Weichen, ein saurer Pilz und ein Fitzelchen Kraut.
    Der Müller zog hektisch an seiner Zigarette und stieß den Rauch mit einem unangenehmen Geräusch, ähnlich dem Zischen einer Schlange, wieder aus, dann warf er sie zu seinen Füßen auf die Tischplatte, stand auf, hob dasBein und trat die Kippe kräftig platt. Dem Doktor fielen die Kupferbeschläge an den roten Stiefelchen auf. Der Müller ergriff den Fingerhut und streckte ihn, unsicher stehend, dem Doktor entgegen.
    »Auf Ihr Wohl, der Herr Doktor! Auf den teuren Gast! Und nieder mit allen Lumpen.«
    Der Doktor kaute und sagte nichts dazu, sah den Müller schweigend an. Derweil füllte die Müllerin schon wieder sein Glas. Der Doktor nahm es, stieß mit dem Müller und der Müllerin an. Dann tranken sie: der Doktor so schnell und lautlos wie zuvor, Taissija Markowna gemächlich, mit einem Seufzer, der ihre üppige Brust zum Wogen brachte, der Müller irgendwie gequält, den Kopf in den Nacken werfend.
    »Och …«, machte die Müllerin und stieß, den kleinen Mund spitzend, geräuschvoll Luft aus, rückte ihr Tuch auf den Schultern zurecht, verschränkte die drallen Arme vor dem hohen Busen und schaute dem Doktor in die Augen.
    »U-u-ua-ach!«, ächzte der Müller, knallte den Fingerhut zurück auf den

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