Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Xenia ebenso gerahmt; einedoppelläufige Flinte und eine Kalaschnikow am Rentiergeweih hängend; ein Wandteppich, Elche an der Tränke; eine Apparatur zum Schnapsbrennen auf hölzernem Schragen.
    Am Esstisch saß die Müllerin, Taissija Markowna, eine große, füllige Frau um die dreißig. Der Tisch war gedeckt; ein kleiner Samowar, rund und glänzend, und eine Zweiliterflasche Selbstgebrannter in aller Mitten.
    »Willkommen im Haus, treten Sie näher«, sprach die Müllerin, sich leicht erhebend, wobei das bunte Pawlow-Possader Tuch ihr von den drallen Schultern gleiten wollte, sie zog es zurück. »Mein Gott, Sie sind ja ganz eingeschneit!«
    Tatsächlich glich der Doktor einem jener Schneemänner, die er als Kind zur Fastnachtszeit gebaut hatte; nur die eisgraue Nase schaute unter der schneeverklebten Pelzmütze hervor.
    »Awdotja, steh nicht rum, geh unserm Gast zur Hand«, befahl die Müllerin.
    Awdotja ging daran, den Doktor abzuklopfen und zu entkleiden.
    »Was müsst ihr auch abends durch die Gegend fahrn, noch dazu bei solchem Sturm?«, fragte die Müllerin, mit rauschenden Röcken hinter dem Tisch hervortretend.
    »Ach, wir sind ja im Hellen losgefahren«, erwiderte der Doktor, der seine von der Nässe schweren Kleidungsstücke eines nach dem anderen loswurde, bis er im dunkelblauen Dreiteiler und dem weißen Schal vor ihr stand. »Aber dann hatten wir unterwegs diesen Bruch.«
    »Ach herrje!«, sagte die Müllerin lächelnd und trat nahe vor ihn hin; ihre dicken weißen Hände hielten die Zipfel des Tuches.
    »Taissija Markowna«, stellte sie sich dem Doktor mit einer Verbeugung vor.

    »Doktor Garin«, nickte er und rieb sich die Hände.
    Beim Eintreten in die Hütte hatte er gemerkt, wie durchfroren, müde und ausgehungert er doch war.
    »Trinken Sie ein Gläschen Tee mit uns, das wärmt Sie auf!«
    »Mit Vergnügen.« Der Doktor nahm den Kneifer ab, putzte ihn umständlich mit seinem Schal, schaute dabei blinzelnd zum Samowar.
    »Von wo sind Sie heute gekommen?«, fragte die Müllerin.
    Sie hatte eine angenehme gurrende Stimme, ihr Tonfall war leicht singend, dem Akzent nach wohl nicht von hier.
    »Ich bin heute Morgen in Repischnaja losgefahren, aber in Dolbeschino waren keine Pferde da. Ich musste einen Fuhrmann von da mieten, mit einem Mobil.«
    »Wen denn?«
    »Kosma.«
    »Ach was. Den Krächz?«, quäkte eine Stimme vom Tisch her.
    Der Doktor setzte den Kneifer auf und schaute. Da saß ein kleinwüchsiger Mann mit hängenden Beinen auf der Tischkante vor dem neuen, blitzenden Samowar. Nicht größer als dieser. Seine Kleidung, so winzig sie war, entsprach dem, was ein wohlhabender Müller zu tragen pflegte: eine rote Strickjacke, ein Paar mausgraue Baumwollhosen und elegante rote Stiefel, die er fröhlich baumeln ließ. In den Händen hielt das Männlein eine winzige Zigarette, die es sich gerade gedreht hatte und im Begriff war, mit seiner winzigen Zunge zuzukleben. Sein Gesicht war unansehnlich, fahl und ohne Brauen, das spärliche blonde Haar wirr, an den Jochbeinen ging es in einen ebenso spärlichen blonden Bart über.

    Es war beileibe nicht das erste Mal, dass der Doktor einen Kleinwüchsigen sah, sie gehörten zu seinen Patienten; darum zog er ungerührt sein Zigarettenetui hervor und klappte es auf, entnahm eine Zigarette, schraubte sie mit gewohnter Bewegung in den Winkel seines fleischigen Mundes und gab dem Winzling zur Antwort: »Genau den.«
    »Da haben Sie ja den Richtigen angeheuert!«, sagte das Männlein mit boshaftem Lachen, steckte sich seinerseits die Selbstgedrehte in den unangenehm breiten Mund und zog aus der kleinen Hosentasche ein winziges Feuerzeug, nicht größer als ein Dreikopekenstück. »Der treibt Sie vor des Teufels Hörner.«
    Er knipste das Feuerzeug an, ein blauer Gasfeuerstrahl leuchtete auf. Das Männlein hielt die Flamme dem Doktor hinauf.
    »Der Krächz? Wo steckt er denn?« Die Müllerin mit ihren ruhigen rehbraunen, vom Selbstgebrannten ein wenig glänzenden Augen sah fragend ihre Gehilfin an.
    »Im Stall. Soll ich ihn reinschicken?«
    »Klar, tu das, er soll sich ein bisschen wärmen.«
    Der Doktor hatte sich zu dem Männlein hinuntergebeugt, dieses wiederum sich ehrerbietig ein Stück erhoben; es reckte das Feuerzeug hinauf, als hielte es eine Fackel. Sein Arm schwankte, das Männlein war sichtlich angetrunken. Der Doktor rauchte an und richtete sich auf, tat einen tiefen Zug und blies einen kräftigen Strahl Rauch über den Tisch. Auch das Männlein

Weitere Kostenlose Bücher