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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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verblichenen Spuren einer alten Aufschrift trug, und begann, im Laufen zu schieben. Tatsächlich verlor das Mobil, kaum dass es den Grund der Schlucht passiert hatte, deutlich an Fahrt und blieb schließlich ganz stehen. Der Krächz schlug die Plane zurück.
    »Was ist mit euch?«, fragte er seine Pferde und tätschelte sie, klatschte ihnen die Handschuhe über die Kruppen.
    »Und Marsch! Und ab durch die Mitte!«, rief er und ließ einen lauten, verwegenen Pfiff hören.

    Die Pferdchen stemmten sich in den Lauf, der Krächz gegen die Rückwand. Auch der Doktor fasste zu und half.
    »Und-zi-iehn! Und-zi-iehn! Hopp-hopp!«, brüllte der Krächz mit gellender Stimme.
    Das Mobil ruckte und kroch mühsam bergan, doch kurze Zeit später blieb es wieder stehen. Der Krächz lehnte sich von hinten dagegen, damit es nicht wieder in die Schlucht zurückrutschte. Die Pferde prusteten. Der Doktor wollte sich wieder ins Zeug legen, doch der Krächz hielt ihn zurück. Spuckte aus.
    »Warten, der Herr. Erst mal Kräfte sammeln«, stieß er keuchend hervor.
    Auch der Doktor war ins Schnaufen gekommen.
    »Son Anschiss aber auch«, sagte der Krächz und griente, die Mütze in den Nacken schiebend. »Macht nix, gleich sind wir oben.«
    Sie standen noch ein Weilchen und sammelten sich.
    Schnee fiel in dichten, weichen, großen Flocken. Aber der Wind hatte sich etwas gelegt und wehte den Schnee nicht mehr ins Gesicht.
    »Das hätte ich nicht gedacht, dass es hier so steil wird«, sagte der Doktor, die Hand an der Rückwand, und blickte, schwerfällig die beschneite breite Fuchsschwanzmütze drehend, über die Schulter zurück.
    »Da unten iss ein Bach«, erläuterte der Krächz mit rasselndem Atem. »Im Sommer muss man durch ne Furt. Gutes Wasser. Wenn ich manchmal hier durchkomm, steig ich ab und trinke.«
    »Hauptsache, wir rutschen nicht wieder runter.«
    »Passiert schon nich.«
    Nachdem sie ein Weilchen verschnauft hatten, stieß der Krächz neuerlich einen Pfiff aus und brüllte.
    »Hü, verdimmich! Und-ziehn! Und-ziehn!«
    Die Pferdchen schurrten über den Lauf. Fuhrmannund Fahrgast schoben von hinten. Das Mobil kroch weiter.
    »Hü-hopp! Hü-hopp!«, schrie der Krächz und pfiff.
    Zwanzig Schritt, dann war es wieder vorbei.
    »Pfui Geier!«, keuchte der Doktor, schlapp an der Mobilrückwand hängend.
    »Gleich sind wir drüber, der Herr, gleich-gleich«, murmelte der Krächz in gepresstem Ton, es klang wie eine Entschuldigung. »Desto flotter gehts drüben wieder runter, immer bergab bis zum Wehr …«
    »Wieso bauen diese Idioten die Straße ausgerechnet hier lang, wo es so steil ist«, schimpfte der Doktor, den Fuchsschwanz herumwerfend.
    »Wo hätten sie die sonst baun solln, der Herr?«
    »Im Bogen drum herum.«
    »Wo drum herum?«
    Erschöpft winkte der Doktor ab, ein Streit war ihm jetzt augenscheinlich zu dumm. Nach kurzer Pause setzten sie den Weg fort, der Krächz brüllte und pfiff sich die Seele aus dem Hals …
    Noch vier Mal mussten sie anhalten und verschnaufen, dann hatten sich Mensch und Pferd endlich aus der Schlucht herausgekämpft.
    »Gott sei Dank«, stöhnte der Krächz und spuckte in Richtung der verhassten Schlucht. Dann ging er zur Kaube, um zu sehen, wie es den Tieren ging.
    Die Pferdchen waren mit Schaum bedeckt, Dampf stieg von ihnen auf, den man aber kaum sah, denn während des Anstiegs war die Dämmerung hereingebrochen. Erschöpft nahm der Doktor die Mütze ab, rieb sich den glitschenden Schädel, wischte sich den Schweiß von der Stirn, kramte ein Taschentuch hervor und schnäuzte trompetend hinein. Sein schmaler weißer Schal war aus dem Parka gerutscht und baumelte. Er schaufelte einehohle Hand Schnee, stopfte sie sich gierig in den Mund. Der Krächz deckte die Pferde wieder zu und zog die Stiefel aus, um Schnee herauszuschütteln. Wankend bestieg der Doktor den Bock, setzte sich und hielt still, ließ sich Schädel und Gesicht beschneien.
    »Das hätten wir.« Der Krächz zog die Stiefel wieder an, setzte sich neben den Doktor und strahlte ihn müde an. »Kanns weitergehen?«
    »Ja!« Der Doktor schrie es beinahe. Er kramte in der tiefen, angenehm glatt und seidig sich anfühlenden Innentasche nach Zigaretten und Streichhölzern. Die Berührung des Stoffes hatte etwas Beruhigendes; sie gab zu verstehen, dass das Ärgste überstanden war; die gefahrvolle, nervenaufreibende Schlucht lag ein für alle Mal hinter ihnen.
    Garin zog an seiner Zigarette mit dem besonderen Behagen eines Mannes, der nach

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