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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Brotkutscher an, als wollte er ihn erschlagen – oder aber im nächsten Moment losheulen.
    Der Krächz schabte sich seufzend den Nacken.
    »Na schön. Dann übernimm du das hier, Kleiner …«
    »Hä?«, machte Wasja mit offenem Mund, er verstand nicht.
    »Bleibst noch ein Weilchen hier sitzen. Wenn der Ofen durch ist, machst du die Klappe zu.«
    »Gemacht, Onkel Kosma«, rief der Junge, zog die Jacke aus, legte sie auf die Bank und setzte sich darauf.

    »Dein Mobil … hat welche Stärke?«, fragte der Doktor erleichtert.
    »Fünfzig Pferdis.«
    »Gut. Dann sind wir in anderthalb Stunden in Dolgoje. Und zurück fährst du mit fünf Silberlingen in der Tasche.«
    »Nich nötig, der Herr«, winkte der Krächz lächelnd mit seiner großen, schraubzwingenartigen Klaue ab und klopfte sich auf die mageren Schenkel.
    »Oki. Dann wolln wir mal anspannen!«
    Er verschwand hinter dem Ofen und kam bald darauf in einer groben Strickjacke und wattierten Hosen wieder, die, mit einem Soldatenkoppel gegürtet, weit oben, beinahe in Brusthöhe saßen; unterm Arm ein Paar graue Filzstiefel. Er setzte sich neben den Jungen, warf die Stiefel auf den Boden und ging hurtig daran, sich die Fußlappen zu wickeln.
    Der Doktor holte sein Zigarettenetui hervor und ging vor die Tür. Dort war alles unverändert: grauer Himmel, Wind und Schneegestöber. Der Weiler wie ausgestorben. Kein menschlicher Laut, kein Hundegebell.
    Garin stand unterm Vordach und sog den belebenden Papirossarauch ein; dabei dachte er schon an morgen. Die Nacht impfe ich, und früh gehts zum Friedhof, die Gräber inspizieren. Hauptsache, die Quarantäne hält stand bei dem Wetter, denn wenn sich da einer aus dem Kordon davonstiehlt, den kannst du abschreiben! In Mitino hatten sie einen doppelten Ring gezogen, nützte auch nichts – im Nu waren sie durch, und schnapp … Ich frag mich, ob Silberstein nicht schon dort ist. Na, selbst wenn! Zu vier Händen impft es sich flotter, da kommen wir in einer Nacht durchs ganze Dorf … Aber der wird es sowieso nicht schaffen, früher da zu sein aus seinem Usochi, das sind gut und gerne vierzig Werst,und das bei dem Wetter … Ist aber auch ein Kreuz mit diesem Schnee …
    Inzwischen hatte der Krächz die Stiefel an den Füßen und trug einen kleinen schwarzen Schafpelz mit Gürtel, hinter dem die Handschuhe steckten, sowie eine Pelzmütze auf dem Kopf. Er nahm den Brotlaib vom Tisch, schnitt einen Kanten ab, den er sich unter den Pelz schob, und dann noch ein Stückchen, von dem er abbiss; kauend zwinkerte er dem auf der Bank sitzenden Jungen zu.
    »Ein Schluck heißer Tee wär noch gut … Aber nein, keine Zeit, iss schon ganz fuchtig, der Herr. E-pi-de-mie! Woher kommt der überhaupt angebraust?«
    »Von Repischnaja, denkichs.« Der Junge rieb sich das Auge mit der Faust. »Mit die Post. Der Kutscher vons Amt hat sich gleich mal aufs Ohr gelegt.«
    »Warum auch nich. Wenns von Amts wegen iss.«
    Krächz bedachte seinen Ofen mit einem Abschiedsblick, gab Wasja einen Klaps auf den Hinterkopf und ging kauend, den Kanten Roggenbrot in der Hand, durch die Hintertür hinaus auf den Hof.
    Der Hof des Brotkutschers war genauso alt und unansehnlich wie das Haus: der angebaute Stall in Schieflage, das Brennholz nachlässig gestapelt, in einigem Abstand eine Scheune mit löchrigem Dach, die Schadstellen notdürftig mit Stangen und Stroh geflickt, und noch dahinter ein verwittertes Kornhaus mit Tenne, auf der, allem Anschein nach, die letzten drei, vier Jahre nicht mehr gedroschen worden war. Dafür war der kleine, an ein Badehäuschen erinnernde Pferdestall aus frisch gehobelten Brettern errichtet und mit breiten Schindeln gedeckt; die Wände gut mit Werg abgedichtet, zwei winterfest gemachte Fenster darin. Daneben, unter einem dick verschneiten Dach, stand das Mobil. Krummbeinig und flink, wie es seine Art war, den Schnee mit den Stiefelnaufstäubend, eilte der Krächz zum Pferdestall; im Laufen schob er die Hand unter den Pelz und das Hemd, zog die Schnur mit dem Schlüssel hervor und steckte ihn in das Vorhängeschloss.
    Von drinnen hörte man ein scharfes, rasselndes Geräusch, es klang wie ein großes Heimchen. Das Geräusch verdoppelte, vervierfachte sich, immer mehr Stimmen kamen hinzu, und plötzlich schien ein ganzer Heuschreckenschwarm zu zirpen, ausdauernd und nach allen Regeln der Kunst. Der Eber nebenan fing auch gleich zu grunzen an, doch gegen das Zirpen im Pferdestall kam er nicht an.
    »Habt euch nich, ich komm ja

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