Der Schneesturm
wir an der Gabelung. Von da findets ein Blinder!«
»Na, dann los!«
Sie setzten sich zurecht, packten sich ein und fuhren wieder los. Stary Possad hatten sie schnell hinter sich. Links und rechts der Straße stand lockeres Buschwerk, an einer Stelle ragten Schilfstängel aus dem Schnee.
»Guck an!«, bemerkte der Krächz kopfschüttelnd. »Hier haben sies anscheinend nich mal nötig, das Schilf zu schneiden. Die müssens ja haben!«
Ihn überkam die Erinnerung, wie er mit dem Vater, Gott hab ihn selig, im Herbst Schilf geschnitten, gebündelt und das Dach damit gedeckt hatte. Alljährlich war neues hinzugekommen. Am Ende war das Dach dick und warm. Bis es dann abbrannte.
»Kosma, Bruderherz, sag mir, was ist für dich im Leben das Wichtigste?«, wollte der Doktor auf einmal von ihm wissen.
»Das Wichtigste?« Der Krächz schob sich die Mütze aus der Stirn und lächelte sein Vogellächeln. »Ach, der Herr, ich weiß nich … Das Wichtigste iss, dass alles im Lot iss.«
»Alles im Lot, was soll das heißen?«
»Na, dass die Pferdis gesund sind, dass Geld für Hafer da iss … ja und dasses einem selber an nix gebricht.«
»Na gut, nehmen wir an, das ist so: Deine Pferdchen sind gesund, du bist es auch, Geld ist vorhanden. Was noch?«
Der Krächz dachte nach.
»Ach, ich weiß nich … Vielleicht, dass ich mir tatsächlich mal ne kleine Imkerei aufziehe. Drei Stöcke oder so.«
»Nehmen wir an, du hast sie. Was noch?«
»Ja, was denn noch?«, fragte der Krächz lachend.
»Sag bloß, da ist nichts, was dich darüber hinaus noch interessiert?«
Der Krächz zuckte die Schultern.
»Der Herr, ich weiß nich, was Ihr meint.«
»Etwas, das du am Leben gerne ändern würdest?«
»An meinem? Da gibts nix. Man iss zufrieden damit.«
»Und am Leben an sich?«
»An sich …« Der Krächz kratzte sich mit dem Handschuh die Stirn. »Dasses weniger böse Menschen gäbe. Das vielleicht.«
»Ah! Das ist gut!«, sagte der Doktor und nickte ernsthaft. »Böse Menschen sind dir wohl ein Graus?«
»Kann man so sagen, der Herr. Um ein bösen Mann, da mach ich meilenweit nen Bogen. Wenn ich mit so einem zusammenrausch, macht mich das krank. Dann wird mir so speiübel, als hätt ich den Bauch voll Aas. Dieser Müller zum Beispiel. Den brauch ich nur zu sehn, die Stimme zu hörn – da kommt mir alles hoch, ohne dass ich den Finger in den Hals stecken müsst. Ich frag mich, der Herr, was einer davon hat, so böse zu sein.«
»Böse Menschen, das gibt es nicht. Der Mensch ist von Natur aus gut, denn er ist nach Gottes Ebenbild geschaffen. Das Böse ist ein menschliches Versehen.«
»Versehn? Kommt aber ziemlich oft vor. Ich zum Beispiel konnt als Kind nich mitansehn, wie einer gezüchtigt wird. War ich selber dran, gings noch – paar Tränen vergossen, und gut wars. Aber wenn ich gesehn hab, wie sie nen andern über die Schulbank strecken, da ward mir hundeelend, ich war nah dran, in Ohnmacht zu falln. Und auch wie ich größer war: Hat sich ne Prügelei angebahnt, taten mir die Beine zittern wie nach nem Tag Stämme rücken. Ein schweres Versehn iss das, der Herr.«
»Fürwahr, Bruderherz, ein schweres Versehen. Aber Gutes gibt es im Leben weit mehr als Böses.«
»Ja nu. Mag sein.«
»Das Gute, darauf kommt es an!«
»Versteht sich. Dem Guten iss sein Lohn bereitet.«
»Das hast du trefflich gesagt! Wir zwei kutschieren über sieben Berge, nur um den Menschen Gutes zu tun! So muss es sein!«
»Wohl wahr, der Herr. Wenn wir bloß schon da wärn.«
Sie kamen durch das Wäldchen und kurze Zeit später an die Weggabel. Beide Wege, der nach links ins Feld abzweigende ebenso wie der, welcher nach rechts in die Büsche führte, waren zugeweht und ohne Spur.
»Das da iss unsre Rinne!« Entschlossen neigte der Krächz das Lenkscheit nach rechts, das Mobil nahm mit leisem Knirschen die Kurve und kämpfte sich in die verwehte Spur.
Erst jetzt fiel dem Doktor auf, dass die Dämmerung mit aller Macht hereinbrach. Er zog die Taschenuhr hervor. Es war Punkt sechs.
Kann das sein?, fragte er sich. Dass ich volle sechs Stunden bei diesen Dopaminierern war? Wie lange wirkt denn so ein Produkt? Man hätte vorher fragen sollen …
Immer noch führte der Weg an lockerem Buschwerk vorbei. Ein anständiger Weg, nicht schmaler und nichtbreiter als andere über Land und außerdem viel befahren, selbst in der zunehmenden Dämmerung noch zu erkennen. Das Schneetreiben hielt unvermindert an.
Nach einer Wegbiegung hatten sie den
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