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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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seinen Einstand gibt …
    Beim Versuch, den nächsten Busch zu umgehen, stolperte er über etwas und fiel hin. Die Pelzmütze flog ihm vom Kopf. Der Doktor raffte sich hoch. Blieb eine Weile sitzen und ließ sich den erhitzten Schädel beschneien, bevor er die Mütze wieder aufsetzte. Dann tastete er denSchnee hinter sich ab. Es war ein dicker Feldstein, über den er gestolpert war.
    Die großen Gletscher der Eiszeit sind über die ganze Rus gewandert, so dachte er, sie haben diese Steine mitgebracht. Und eine neue Ära der Menschheit brach an: Der Mensch griff zur Steinaxt …
    Auf den Stein gestützt, erhob er sich und lief in den eigenen Spuren zurück. Musste aber irgendwann von ihnen abgekommen sein, denn bald darauf stieß er wieder auf den Stein.
    Ich bin im Kreis gegangen, stellte der Doktor fest.
    »Wie das denn?«, fragte er sich laut.
    Angestrengt starrte er in die Dunkelheit, sah deutlich seine Spuren. Ging den von ihm selbst ausgetretenen Pfad noch einmal. Landete wieder an dem Stein.
    Verrückt!
    Er lachte auf, nahm den Kneifer ab, putzte ihn zum hundertsten Mal mit seinem weißen, im Wind flatternden Schal. Dann drehte er eine weitere Runde um den rätselhaften Busch. Wollte er seinen Spuren glauben, war er die ganze Zeit immer nur im Kreis gegangen.
    Wie ist das möglich?, fragte er sich. Ich muss doch von irgendwoher zu diesem Busch gelangt sein?
    Dem Doktor fiel ein, dass er beim ersten Mal den Busch hatte links liegen lassen. Also schlug er jetzt, vom Stein kommend, einen Bogen ebenfalls nach links. Spuren, die zu dem Busch herführten, waren nirgends zu entdecken. Drauf gepfiffen!, sagte er sich und lief einfach geradezu. Kurz darauf stieß er sich schmerzhaft an einem weiteren Busch. Zweige wischten ihm den Kneifer aus dem Gesicht.
    »Herrgott noch mal …« Er fing den baumelnden Kneifer und setzte ihn auf, umging den Busch und lief weiter.

    Vor ihm nichts als Finsternis und fliegender Schnee. Der unter den Füßen war tief und blieb es. Darin kein Weg und keine Straße, keine menschlichen Spuren. Der Doktor stapfte noch eine Weile weiter und blieb dann stehen. Er spürte den Schnee in den Stiefeln, fror an den Füßen. Zu dem vermaledeiten Busch zurückzukehren widerstrebte ihm. Er holte Luft, so tief es ging, und brüllte: »Kosma-a-a!«
    Das Heulen des Schneesturms war die einzige Antwort.
    Er rief noch einmal. Und vernahm von rechts etwas wie ein Echo. Lief darauf zu. Der Schnee wurde so tief, dass er buchstäblich kriechen und strampeln musste, um vorwärtszukommen; kaum stand er, fiel er wieder hin. Hechelnd und vollkommen ausgelaugt, langte er schließlich am Mobil an. Das stand da starr und leblos, schon ganz zugeweht; in der Dunkelheit hätte man es für eine große Wechte halten können. Eingeschneit kauerte der Krächz auf dem Bock. Auf des Doktors Erscheinen reagierte er in keiner Weise.
    Der Doktor war vor Erschöpfung dem Umfallen nahe.
    »Nichts gefunden, gar nichts!«, keuchte er, sich am Mobil festhaltend.
    »Ich hab ihn«, erwiderte der Krächz kaum hörbar.
    »Wie? Wo?«
    »Da drüben«, antwortete der Krächz, ohne zu zeigen, wo.
    »Was sitzt du dann hier rum?«
    Der Krächz gab keine Antwort.
    »Was du hier rumsitzt, will ich wissen!«, brüllte der Doktor.
    »Ich hab auf Euch gewartet.«
    »Sitzt einfach hier rum und sagt nichts. Idiot! Los! Weiter!«

    Aber der Krächz rührte sich nicht. Hockte so reglos, als hätte er sich in einen Schneemann verwandelt. Der Doktor stieß ihn gegen die Schulter. Der Krächz schwankte, anhaftender Schnee fiel in Brocken von ihm ab.
    »Weiterfahren!«, brüllte der Doktor ihm ins Ohr.
    »Mir iss kalt, der Herr.«
    Der Doktor packte ihn bei den Schultern, rüttelte ihn so heftig, dass die Mütze bis auf des Krächzens Nase rutschte.
    »Weiterfahren!«
    »Warten … Erst warm werden …«
    »Spinnst du? Soll ich dir eine aufs Maul hauen? Willst du Idiot hier krepieren?«
    Der Rotschimmel in der Kaube wieherte, wohl aus Sorge um seinen Herrn. Die anderen Pferdchen fielen ein.
    »Fahr endlich los, Knallkopf! Aber zack!«
    Noch einmal schüttelte der Doktor den Fuhrmann durch. Der erklärte sich.
    »Erst müssen wirn Feuer machen, der Herr. Uns bisschen wärmen. Dann kanns weitergehn.«
    Und so erstaunlich es war: Diese Aussage wirkte auf den Doktor besänftigend. Mit dem flackernden Feuerchen vor dem inneren Auge spürte er auf einmal, wie sehr die Kälte auch ihn gepackt hatte, während er durch den Schnee gerobbt war.
    Anscheinend ist die

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