Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
Schnee von vorn. Das Mobil verlor an Tempo.
    Der Krächz lenkte, die Pferde zogen, man hörte sie in der Kaube trappeln. Der Doktor blickte gedankenverloren voraus.
    Kurze Zeit später war es stockfinster. Kein Mond. Doch weder der Doktor noch der Krächz ließen sich davon beeindrucken; seelenruhig setzten sie ihre Fahrt fort. Dem Doktor kam es so vor, als wiese der Schneesturm ihnen den Weg, indem er den Krächz nötigte, genau gegen den Wind zu lenken. Das Dunkel spuckte Schneeflocken, die gegen die Fahrenden prallten, und man hatte nichts weiter zu tun, als darauf zuzufahren.
    Gegen den Wind zu Felde ziehen! Alle Fährnisse überwinden, allen Wahnwitz und Widersinn. Nichts und niemanden fürchten, unbeirrt seinen Weg gehen, wie das Schicksal es will. Eisern, standhaft, geradeaus. Darin liegt der Sinn unseres Lebens! … So dachte der Doktor.
    Das Mobil neigte sich jäh nach links, bohrte sich mit dem Bug in den Schnee und blieb stecken. Erschrockenes Schnauben und Wiehern.
    »Mal wieder weggeschmiert.« Der Krächz saß ab, stiefelte durch den Schnee, brach gleich ein bis zur Hüfte. »Puh! Hier gehts ab …«
    Der Doktor stieg auch aus, klopfte sich den Schnee ab.
    »Das nenn ich ne Kuhle!«, rief der Krächz ihm von unten zu. »Bloß gut, dass wir da nich reingerauscht sind! Wenn Ihr mal eben behilflich sein könntet, der Herr …«
    Der Doktor ging hin, brach dabei selbst ein Stück ein. Mit viel Aufhebens, unter Ächzen und Fluchen halfen sie sich gegenseitig hinauf: Erst zog der Doktor den Krächzaus der Grube, dann musste der, als er oben war, dem abrutschenden Doktor beispringen. Dabei segelte dem Doktor die Mütze vom Kopf, der Krächz fing sie auf.
    Als sie endlich heraus waren, saßen sie, gegen das Mobil gelehnt, japsend im Schnee und mussten verschnaufen.
    »Ihr müsstet mit schieben«, bat der Krächz.
    »Keine Frage!«, erklärte der Doktor und war auch schon dabei, sich zu erheben; der Fuchsschwanz schwang verwegen. »Zeig, wo am besten!«
    Der Krächz stemmte sich von hinten gegen die Lehne der Sitzbank, gab den Pferden das Kommando zum Retirieren, ein prustendes »Prr-prr! Prr-prr! Zu-u-ur-rück!«.
    Der Doktor schob von der anderen Flanke.
    Mit Mühe, nach vier Anläufen, schafften sie es, das Mobil aus der Böschung zu hieven. Sie hielten kurz inne, um Atem zu schöpfen, saßen auf und fuhren weiter. Ewig zog sich der Weg durch die Büsche, bis er auf einmal in eine Senke führte und sich in Düsternis und Schnee verlor, mit dem Auge einfach nicht mehr auszumachen war. Der Fuhrmann stieg ab, stapfte umher, suchte den Weg mit den Füßen zu ertasten. Der Doktor setzte sich ans Lenkscheit, steuerte langsam hinterher. So kamen sie durch die Senke und wieder hinauf. Dort aber verlor der Krächz den Weg ganz und gar. Er lief mehrmals im Kreis durch den knietiefen Schnee, rutschte in Gruben, stolperte, fiel, rappelte sich wieder auf. Der Doktor konnte seine Silhouette im Finsteren kaum noch erkennen.
    Restlos erschöpft kehrte der Fuhrmann schließlich zum Mobil zurück. Plumpste auf die Knie, legte die Arme um das Mobil.
    »Herr im Himmel …«
    »Was ist?«, fragte der Doktor mit gerunzelter Stirn.
    »Er iss weg. Wie vom Erdboden verschluckt …«

    »Vom Erdboden verschluckt, das kann ja wohl nicht sein!«
    »Weiß Gott nich … Anscheinend schlägt der Satan uns ein Schnippchen, der Herr!«
    »Dann geh ich jetzt mal suchen …«
    »Lieber nich, der Herr …«
    Doch der Doktor stapfte entschlossen in die Schnee spuckende Finsternis. Beschloss als Erstes, dem Bug des Mobils folgend, geradeaus zu gehen. Ging dreißig Schritte im tiefen Schnee, ohne auch nur die Andeutung einer Fahrrinne zu entdecken. Kehrte zum Mobil zurück und ging als Nächstes nach links. Stieß beinahe sogleich auf einen Busch, den er sorgsam umrundete, um dahinter seinen Weg in derselben Richtung fortzusetzen. Doch da stand schon wieder ein neuer Busch. Auch ihn umging er. Hier war der Schnee so tief, dass der Doktor ganz versank.
    »Nichts. Absolut nichts!« Er spuckte in den vom Sturm gepeitschten Busch und stieß ein müdes Lachen aus.
    Aber trotz Müdigkeit, Finsternis und Schneetreiben schien der erstaunliche Vorrat an Elan und frohem Mut, den der Besuch bei den Dopaminierern ihm verschafft hatte, noch nicht erschöpft.
    Das nenn ich ein Abenteuer!, dachte er, während er, schweren Schrittes und kurzatmig, durch den Schnee stapfte. Ein bleibendes Erlebnis. Das erzähl ich dem Silberstein, wenn der Geizkragen endlich mal

Weitere Kostenlose Bücher