Der Schneesturm
Die Mäulchen streckten sich zu ihrem Herrn, die bereiften Nüstern stupsten ihm gegen Wangen und Nase, zupften an seinem schütteren Zottelbart. Er erwehrte sich ihrer auf die übliche Art, indem er sie heftig anblies, wie um sie zu verscheuchen, was aber eher das Gegenteil bewirkte, die Pferde in ihrem Übermut nur noch anstachelte. Der Rotschimmel, der am rappeligsten von allen war, verbog beinahe das Kummet, nur um seinem Herrn noch näher auf die Pelle zu rücken, fletschte die Zähne und biss ihn sanft in die Nasenwurzel.
»Du erst noch!«, sagte der Krächz und gab ihm einen Klaps auf den Rücken.
Die Pferde wieherten.
»Na seht ihr!«, sprach der Fuhrmann begütigend und klatschte sie einzeln ab. »Und jetzt keine Müdigkeit vortäuschen! Ganz ohne Flausen!«
Er zwinkerte seinen Schützlingen zu und schloss die Kaube, richtete sich auf und klatschte kräftig in die behandschuhten Hände, wie um sich selbst zu ermuntern:
»Auf gehts! He-hopp!«
Der Doktor, den seine Gymnastik zum Keuchen gebracht hatte, legte die Hand an die Lehne.
»Auf gehts!«
Der Krächz lief geschwind zur anderen Seite, packte das zersplissene Holz.
»Und lo-o-o-s!«
Das Mobil fuhr an, gegen den Wind.
»Lo-os!«, knurrte der Doktor.
»Lo-ho-o-os!«, krächzte der Krächz.
Das Mobil glitt über den Schnee wie ein Boot übers Wasser. Der Krächz lenkte, ohne wirklich etwas zu sehen, einzig seiner unerschütterlichen Gewissheit folgend, dass der Weg dort vorne lag, liegen musste.
Und tatsächlich fanden sie ihn.
»Aufsitzen, Doktorchen!«, rief der Krächz.
Der Doktor sprang im Fahren auf, ließ sich auf den Bock fallen. Der Krächz schob noch eine kleine Weile weiter, dann sprang auch er auf, rückte sich zurecht, die Hand nicht vom Lenkscheit lassend.
Das Mobil fuhr die verschneite Straße entlang.
Plötzlich tat sich etwas am undurchdringlich schwarzen Himmel, denn die Reisenden konnten auf einmal das Feld vor sich sehen, den schwarzen Streifen Wald rechter Hand und zwei große, einzeln im Feld stehende Bäume links. Dazu den Schnee, der auf das alles herunterfiel.
Fuhrmann und Fahrgast hoben gleichzeitig die Köpfe: In einem Wolkenspalt war ein zwar schartiger, doch heller Mond aufgetaucht. Und unverkennbar das tiefdunkle Blau des Himmels zwischen den grauen Wolkenmassiven.
»Na Gott sei Dank!«, brummte der Krächz.
Wie von Geisterhand wurde der Schneefall spärlicher und versiegte alsbald ganz. Nur von Windböen erzeugte Schneewirbel trieben noch über Feld und Straße, brachten die Büsche an deren Saum ins Schwanken.
»Das Wetter hat sich gelegt, der Herr!«, freute sich der Krächz und stieß dem Doktor den Ellbogen in die Seite.
»Tatsächlich!« Der Fuchsschwanz des Doktors schaukelte froh.
Immer noch schoben sich neue Wolken vor den Mond, doch ihre Ohnmacht war bereits zu spüren. Sie wurden hinweggefegt, nach kurzer Zeit waren sie ganz vom Himmel verschwunden. Sterne blinkten, alles lag im hellen Mondlicht.
Der Schneesturm hatte aufgehört.
Die verwehte Straße war jetzt gut zu erkennen, die Pferde zogen ordentlich, das Mobil flog dahin, unter den Kufen knirschte der Neuschnee.
»Wird Zeit, dass das Glück mal auf unsrer Seite iss, der Herr!«, lachte der Krächz und schob seine Mütze gerade. »Ja, und dem Glücklichen legt auch der Hahn ein Ei, nich wahr.«
Zur Feier des Augenblicks wollte der Doktor sich eine Zigarette gönnen, aber dann merkte er, dass ihm auch ohne Zigarette wohl war.
Die Landschaft ringsum war nun eine einzige Pracht.
Ein klarer Nachthimmel wölbte sich über dem unabsehbaren Schneefeld. Selbstherrlich prangte dort oben der Mond, brachte Myriaden frisch gefallener Schneeflocken zum Funkeln, versilberte die bereifte Matte über der Kaube, den Fäustling des Fuhrmanns am Lenkscheit, die Fuchsschwanzpelzmütze des Doktors, Kneifer und Parka. Wie ausgesäte Diamanten lagen die Sterne über den Himmel gestreut, glänzten von oben herab. Ein nicht sehr kräftiger, doch kalter Wind von rechts trug den Duft von tiefer Nacht, frischem Schnee und ferner menschlicher Behausung heran.
Wieder fühlte der Doktor sich von dem vorigen Hochgefühl ergriffen, pralle Lebensfreude nahm von ihm Besitz, er vergaß die Müdigkeit, die durchfrorenen Füße, sog die frostige Nachtluft in tiefen Zügen ein.
Und während er sich der Schönheit des Panoramas genüsslich hingab, gingen ihm hehre Gedanken durch denKopf. Schranken überwinden! Wissen, wohin man will! Standhaft sein … Ein jeder wird in
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