Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
Vom Netzwerk:
verpassen müssen.
    Und nun diese dumme Situation … Verärgert warf der Doktor die halb aufgerauchte Zigarette in den Schnee.

    Er ging zum Krächz, kauerte sich neben ihn. Legte ihm die Hand auf die Schulter.
    »Du, Kosma … Nimms nicht krumm.«
    »I wo«, sagte der Krächz und lächelte.
    Der Doktor sah, dass der Fuhrmann an der Lippe blutete. Er zog sein Taschentuch hervor und legte es darauf.
    »Schon gut, der Herr …« Der Krächz schob des Doktors Hand zurück, spuckte aus.
    Der Doktor griff ihm unter den Arm, wollte ihm aufhelfen.
    »Komm jetzt.«
    Der Krächz erhob sich. Stand, rücklings gegen das Mobil gelehnt, den Fäustling an der Lippe.
    »Nimms mir nicht krumm«, wiederholte der Doktor schulterklopfend. »Ich bin einfach furchtbar müde.«
    Der Krächz lächelte.
    »Aber es muss ja doch weitergehen«, sagte der Doktor, den schmächtigen Körper des Fuhrmanns anstoßend, dass er schwankte.
    »Logo.«
    »Was sollen wir hier noch rumstehen. Fahren wir.«
    »Aber die machens nich mit, der Herr. Erst muss die Starre weichen.«
    Der Doktor wollte etwas Scharfes, Schwerwiegendes erwidern, doch dann überlegte er es sich anders. Winkte innerlich ab und ging zur Seite. Der Krächz blieb stehen, spuckte hin und wieder aus, betastete die Lippe mit dem Handschuh. Dann deckte er die Pferde wieder ab, befestigte die Matte.
    »Ein Stündchen solln sie noch stehen, dass der Schreck nachlässt. Dann gehts weiter.«
    »Wie du meinst.«
    Der Doktor setzte sich auf seinen Platz, zog das Bärenfell heran und vergrub sich darin, ließ nur noch dieNase mit dem blitzenden Kneifer unter der Pelzmütze hervorschauen. Er fühlte sich auf einmal unbehaglich, was nicht nur mit der Kälte zusammenhing. Tatendrang und Optimismus waren dahin. Dem Doktor war kalt, ihm war alles zuwider.
    Anschiss!, dachte er, die Hände in den Handschuhen tief in die Taschen des Parka schiebend – wo er, in der rechten, das kalte Eisen des Revolvers fühlte. Das Leben ist ein einziger Anschiss. …
    »Schweinerei!
Anmerkung
«, drückte er es noch einmal in deutscher Sprache aus.
    Der Krächz kam und nahm seinen Platz neben dem Doktor ein. Weder Kränkung noch Bitterkeit waren ihm anzumerken. Nur dass die Oberlippe geschwollen war und der Vogelmund davon noch grotesker aussah.
    So saßen sie an die zehn Minuten. Nach wie vor leuchtete der Mond vom wolkenlosen Himmel, der Wind schien sich ganz gelegt zu haben. Frostige Stille ringsum. Nur die Pferdchen in der Kaube scharrten schon wieder vorsichtig mit den Hufen.
    »Vielleicht sollte man ein bisschen Alkohol zu sich nehmen?«, sprach der Doktor plötzlich laut einen Gedanken aus.
    Der Krächz antwortete mit einem Seufzen.
    »Jeder ein Schlückchen?«, wandte der Doktor sich an ihn.
    »Da hätten wir nix gegen, der Herr. Iss schon arschkalt …«
    »Das kann man laut sagen«, knurrte der Doktor und beugte sich nach vorn, öffnete die Tasche zu seinen Füßen, wühlte ächzend darin herum, bis er schließlich das bauchige Fläschchen mit dem Alkohol hervorzog.

    Er entfernte den Gummistöpsel und roch. Holte tief Luft. Schaute durch das dicke Flaschenglas auf den Mond.
    »Auf unsre Gesundheit.«
    Er tat einen kräftigen Schluck, presste sich den linken Handrücken gegen den Mund und atmete langsam in den kalten Handschuh aus, der noch nach Holzfeuer roch. Wie ein Feuerball rollte die Flüssigkeit die Speiseröhre hinunter; der Doktor musste an den Kupferkessel mit dem siedenden Öl denken.
    »Va, pensiero …«, brummte er, sog kalte Luft durch die Nase und ließ ein müdes Lachen hören.
    Der Krächz sah ihn an.
    »Da, trink!« Der Doktor reichte ihm die Flasche.
    Der Krächz nahm sie mit beiden Händen entgegen, beugte sich vor und süffelte betulich, dann ließ er den Kopf in den Nacken fallen. So verharrte er, den Atem angehalten. Schließlich gab er ein herzhaftes Ächzen von sich, ganz in bäurischer Manier, schüttelte den Kopf und gab dem Doktor das Fläschchen zurück.
    »Gut?«, fragte der Doktor.
    »Gut«, erwiderte der Krächz, geräuschvoll einatmend.
    Der Doktor verstöpselte das Gefäß und verstaute es in der Tasche. Dann ergriff er des Krächzens Hand, drückte sie.
    »Nimms nicht krumm, hörst du.«
    »Nich doch …«
    »Ich bin müde. Fix und fertig irgendwie.«
    Der Krächz nickte. Niedergeschlagen schaute der Doktor in die Runde.
    »Vielleicht, dass du deine Pferdchen ein bisschen anspornen könntest …«
    »Die komm bald von ganz alleine drauf. Das mit den Wölfen, das liegt

Weitere Kostenlose Bücher