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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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den Pferdis im Blut, der Herr. Hund und Wolf fürchten die wies Feuer. Und den Iltis.«

    »Aber die Wölfe sind doch längst weg!«, rief der Doktor, es klang beleidigt.
    »Das schon. Nur die Furcht iss noch da.«
    »Es ist ja nur noch ein kleines Stück zu fahren.«
    »Eben. Das schaffen wir.«
    »Die Patienten warten auf mich«, mahnte der Doktor nun schon ganz ohne Vorwurf und griff nach dem Zigarettenetui.
    Der Krächz hob den Pelzkragen, krümmte sich zusammen und verstummte.
    Der Doktor hingegen verspürte nach dem Schluck aus der Flasche einen Zustrom von Wärme und Energie. Als hätte sich in seinem Bauch eine tropische Blüte entfaltet.
    »Zwei hab ich noch!«, rief er und wies dem Krächz lächelnd das fast leere Zigarettenetui vor.
    Doch der reagierte nicht.
    Der Doktor rauchte. Gereiztheit und Ungeduld waren wie weggeblasen. Paffend saß er da und schaute blinzelnd in die weiße Öde. Die Augen tränten, wodurch alles ins Schaukeln geriet; um sie auszuwischen, hätte er sich bewegen müssen. Er zwinkerte, doch die Tränen blieben in den Augenwinkeln sitzen und kühlten dort ab, was ein angenehmes Gefühl war.
    Warum müssen wir ständig irgendwohin hetzen?, fragte er sich, den Rauch mit Behagen ein- und ausströmen lassend. Jetzt zum Beispiel in dieses Dolgoje. Was änderte es, wenn ich erst morgen käme? Oder übermorgen? Es änderte absolut nichts. Die, die sich angesteckt haben oder gebissen worden sind, werden so oder so nicht wieder zu Menschen. Und die anderen haben sich in ihren Häusern verbarrikadiert, es macht ihnen nichts aus, einen Tag länger zu warten, bis sie von mir die Spritze kriegen. Sie müssen keine Angst mehr haben vor der bolivianischen Pest. Gut, Silberstein wird michungeduldig erwarten, er wird sauer sein, mich mit unflätigsten Worten belegen. Doch es steht nicht in meiner Macht, diesen Kosmos aus Eis und Schnee auf einen Schlag zu bezwingen. Kann schließlich nicht fliegen …
    Er rauchte die Zigarette gründlich zu Ende und warf die Kippe in den Schnee.
    Eine kleine Wolke war vor den Mond gekrochen und tauchte das Schneefeld in tiefe Nacht.
    »Schläfst du etwa?«, stieß der Doktor den Fuhrmann an.
    »I wo«, antwortete der Krächz.
    »Schlaf bloß nicht!«
    »Ich schlaf doch nich.«
    Die Wolke kroch vom Mond herunter. Das Feld wurde wieder hell.
    Der Fuhrmann fühlte sich nach dem Alkohol warm und zufrieden. Die Knie an den Bauch gezogen, die Arme um die Hüften geschlungen, saß er da. Die Mütze war ihm knapp über die Augen gerutscht, nur ein Stück des im Mondlicht liegenden Feldes konnte er sehen. Kein Gedanke mehr an das ungeheizte Haus, er saß einfach da und schaute.
    Erst wollte der Doktor ihn fragen, wann und bei welcher Gelegenheit sich die Pferde diese Angst vor den Wölfen zugezogen hatten und ob sie denn wohl bald zu sich kämen und wieder bereit wären, das Mobil zu ziehen, aber dann hatte er doch keine Lust dazu und saß ebenso reglos, ergab sich der vollkommenen Stille um sie her.
    Kein Windhauch regte sich mehr.
    Eine Zeit lang saßen sie noch so da. Weder der Doktor noch der Krächz mochten sich rühren. Einzelne Wolkenfetzen krochen auf den Mond zu und über ihn hinweg, auf ihn zu und wieder weg. Auf ihn zu und wieder weg.
    Dem Doktor fiel ein, dass noch ein bisschen Alkoholin der Flasche war. Er holte sie hervor, tat zwei große Schlucke, zwischen denen er die gebührende Zeit vergehen ließ. Als er wieder Luft bekam, hielt er dem Krächz die Flasche hin.
    »Trink aus.«
    Der Krächz löste sich aus seiner Starre, nahm die Flasche und leerte sie gehorsam, presste den Fäustling gegen die Lippen. Der Doktor verstaute das leere Gefäß in der Reisetasche, klaubte sich eine Handvoll Schnee von der Matte, füllte den Mund damit und kaute. Wieder breitete sich ein Schwall von Wärme in ihm aus, ihm wurde wohl, er wurde munter. Bekam Lust, sich zu bewegen, etwas zu tun.
    »Was ist, Bruderherz?« Er klopfte dem Krächz auf die Schulter. »Fahren wir? Wir können doch nicht ewig hier stehen.«
    Der Krächz saß ab, öffnete die Kaube. Die Pferde sahen ihn an.
    »Dann wolln wir mal!«, sagte der Krächz zu ihnen.
    Den Satz kannten die Pferde, sie wieherten durcheinander. Der Krächz nickte beifällig, schloss die Kaube, saß auf und zerrte an den Zügeln.
    »Hü!«
    Zaghaft verfielen die Pferdchen auf dem Zug ins Trappeln, so als hätten sie vergessen, wie das geht, was die Menschen ihnen abverlangen.
    »Hü-hüh!«
    Das Mobil ruckte an, die Kufen

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