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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Kufe zur Hand gehn tätet, der Herr?«, sagte der Krächz und griff sich die Axt aus dem vom Feuer angetauten Schnee.
    »Wie?« Der Doktor verstand nicht, was von ihm verlangt wurde.
    »Ich hab ne neue Spitze gehaun. Ihr haltet an, und ich nagele. Drei Nägel haben wir.«
    Wortlos stand der Doktor auf, knöpfte sich zu. Der Krächz entzündete den letzten verbliebenen Ast und steckte ihn neben dem Kopf des Riesen in den Schnee. Das Feuer flackerte in den bereiften Totenaugen; der Doktor sah, dass sie grün waren.
    »Schnell! Solang wies brennt!«, trieb der Krächz zur Eile an, fiel auf die Knie und schob die neue Spitze unter die gebrochene Kufe.
    Auch der Doktor kniete sich in den Schnee, krallte die Finger um die beiden Hölzer, hielt sie zusammen. Der Krächz zog die kostbaren drei Nägel aus der Tasche. Zwei steckte er sich zwischen die Lippen, den dritten hielt er an und trieb ihn mit drei kräftigen Schlägen der stumpfen Seite des Beils ins Holz. Setzte den zweiten an, schlug behände zu, traf wie zuvor. Erst beim vierten und letzten Hieb rutschte das Beil ab und knallte ihm schmerzhaft auf die linke Hand.
    »Au, verdammt!«, entfuhr es ihm, dabei rutschte der dritte Nagel aus den Lippen und fiel in den Schnee.
    Der Zweig war erloschen, streute nur noch bernsteinfarbene Asche.
    »Sapperlot …« Der Krächz schüttelte seine große Hand, schmiss das Beil weg und tastete im Schnee nach dem verlorenen Nagel. »Wo steckt das elende Ding …«

    Auch der Doktor fing an, den Schnee abzutasten. Vergeblich.
    »Wir brauchen Licht!«, stellte er fest.
    Der Krächz las ein paar übrig gebliebene Zweiglein auf und zündete sie an.
    Die kurzzeitig auflodernde Flamme brachte nichts ein, der Nagel schien sich in Schnee aufgelöst zu haben.
    »Da wird der Hund in der Pfanne verrückt«, brummte der Krächz, wütend durch den Schnee robbend.
    »Das ist aber auch … Wie konntest du nur …«, knurrte der Doktor, während seine Hände im Schnee wühlten.
    »Ich bin zu blöd, nen Nagel festzuhalten, darum«, erklärte der Fuhrmann zerknirscht.
    Sie suchten noch eine Weile weiter im schwachen bläulichen Licht zweier Feuerzeuge; der Nagel blieb unauffindbar.
    »Das hat man davon«, sagte der Krächz, der schon ganz voller Schnee war und immer noch um die Kufe herumkroch.
    Der Verlust des Nagels verdross ihn über alle Maßen. Und wie er es bereute, nicht wenigstens vier Nägel aus des Müllers Blechbüchse mitgenommen zu haben, sondern aus Dummheit und Befangenheit nur ganze drei.
    »Ich Dussel, ich.«
    Er schnäuzte sich und schlug die Enden der eingeschlagenen Nägel, die unten aus dem frisch zugehauenen Holz hervorschauten, krumm. Befühlte das Ergebnis.
    »Vielleicht, dass wir auf zwei Nägeln heile anlangen?«
    »Noch eine Binde drum!«, entschied der Doktor, der, vornübergebeugt, unverwandt auf die reparierte Kufe starrte.
    »Von mir aus …« Der Krächz nickte gleichmütig, stand auf und öffnete die Kaube.

    Nur schwach gaben die Pferdchen Laut. Daran ließ sich erkennen, wie kalt ihnen war.
    »Nu kommt. Nu kommt. Erzählt mir was …«
    Der Fuhrmann warf die Fäustlinge ab und begann die Tiere zu tätscheln und zu kraulen. Ein schwaches Wiehern war die Antwort, die zusammen mit dem Dampf der Pferdeleiber aus dem Innern drang. Die Kaube war, von ihrer Körperwärme aufgeheizt, wohl der einzige warme Raum weit und breit. Neidvoll, ja beinahe verärgert stellte der Doktor fest, dass, während die Menschen sich einen abfroren, Pferde offenbar in der Lage waren, sich selbst zu wärmen. Er fand die Reste der Binde, und sie gingen daran, die vermaledeite Kufe zu bandagieren. Gerade als der Doktor damit fertig war und den gewohnten Knoten angebracht hatte, meinte er ein leichtes Prickeln auf dem Rücken zu spüren. Er hob den Kopf: Es schneite wieder.
    »Pfui Deibel!«, fluchte er, zum Himmel sehend.
    Dort hing eine schwere, geschlossene Wolkendecke. Ade, heller Mond, ade, Sternengefunkel! Der Schnee fiel lotrecht, kein Wind wehte. Er fiel so dicht, dass alles ringsum dahinter verschwand. Wie den müden Reisenden zum Hohn, wie um sich zu rächen für die ein, zwei Stunden Licht und Klarheit, schneite es und schneite, als gäbe es nichts anderes als diesen Schnee.
    »Na, dadrauf haben wir ja bloß gewartet«, sagte der Krächz, lächelte sich eins und schloss schnell die Kaube.
    »Wie soll man da fahren?«, fragte der Doktor, in die Runde sehend.
    »Mit Gottes Segen!«, erwiderte der Fuhrmann, zog das Lenkscheit nach links

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