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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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und feuerte seine Pferde an.
    Das Mobil bewegte sich, glitt von dem toten Riesen herunter. Der Krächz, nebenherlaufend, lenkte es dorthin, wo der Weg zu vermuten war. Der Doktor stapfte hinterdrein.

    »Immer steigt auf, der Herr, ich lauf nochn Stück«, rief der Krächz ihm zu.
    Der Doktor stieg ins Mobil.
    »Wie weit mag es noch sein?«
    »Keine Ahnung. Drei Werst vielleicht …«
    »Das müssen wir schaffen!«
    »So Gott will, schaffen wir das.«
    »Drei Werst! Das könnte man zu Fuß gehen!«
    »Könnte man wohl.«
    Um alles in der Welt wollte der Doktor dieser grenzenlosen weißen Ödnis entkommen, dieser Kälte, die keinen Moment von einem abließ, dieser Nacht, die wie ein böser Traum war, vergessen sollte sie sein auf immer und ewig, mitsamt dem Schnee, dem bescheuerten Mobil und seiner gebrochenen Kufe und dem Krächz, dieser Knalltüte …
    Lieber Gott, behüte uns, hilf uns auf den rechten Weg, so betete er still für sich und zählte dabei jeden Meter, den das Mobil zurücklegte.
    Der Krächz lief nebenher und lenkte, seine Stiefel pflügten den Schnee, manchmal brach er ein und arbeitete sich wieder hervor. Ringsumher eine Wand aus lautlos fallendem Schnee. Diese Lautlosigkeit war es und die absolute Windstille, was den Doktor jetzt am meisten gruselte.
    Den Krächz hingegen focht das nicht an, er war einfach nur müde von alldem. So todmüde war er, dass er die letzten Kräfte zusammennehmen musste, seine Füße zu setzen, der Versuchung zu widerstehen, einfach in den Schnee zu sinken und zu schlafen. Das Lagerfeuer hatte ihn so schläfrig gemacht, er hatte viel Rauch geschluckt, jetzt hatte er nur noch den einen Wunsch: schlafen.
    Drei Werst, das iss zu schaffen, wenn wir bloß nich vom Weg abkomm, dachte er, die Lider aufreißend, dieder Schnee und die Müdigkeit immer wieder nach unten drücken wollten.
    Eine halbe Werst weiter – die Schonung war zu Ende, sie fuhren über freies Feld – geschah es dann doch, dass sie vom Weg abkamen. Eine Weile irrte der Krächz umher und fand ihn wieder; die Fahrt ging weiter. Beim nächsten Mal ebenso. Der Doktor stieg schon gar nicht mehr ab, saß da, ganz eingeschneit, betete und starb schier vor Angst. Die nächste halbe Werst ging die Fahrt glatt, dann auf einmal ein Knacken, das Mobil kippte nach rechts, rutschte vom Weg und landete in einer Mulde, wo die frisch angenagelte Kurve endgültig brach.
    »Weggeknackt, die Chose!«, kam der Befund von unten aus dem Schnee.
    »Hach … Du kannst mich mal!«
    Der Doktor, der bis hierhin unbeweglich gesessen, sprang auf einmal vom Bock wie von der Tarantel gestochen, raste durch den knietiefen Schnee nach hinten zum Gepäckträger und schnallte wutentbrannt seine Taschen ab.
    »Von mir aus kannst du Dämlack hier versauern mit deinem Mobil, dem stinkenden, und der Scheißkufe …« Er zerrte die schneebedeckten Taschen vom Bock, nahm eine in jede Hand und lief los.
    Der Krächz hielt ihn nicht zurück. Er hatte keine Kraft mehr zum Stehen, sackte neben dem Mobil in den Schnee, lehnte sich mit dem Rücken dagegen – eine Hand an der gebrochenen Kufe, als wäre es sein gebrochenes Bein.
    »Zu Fuß wäre ich längst dort!«, brüllte der Doktor ingrimmig, ohne sich umzuwenden, und schritt kräftig auf der verwehten Straße aus.
    »Mein Fehler ist, dass ich auf Knallköpfe und Idioten höre«, giftete er vor sich hin, während er sich durch dasdichte Schneetreiben schlug. »Mein Lebtag lang! Immer wieder! Was ist das bloß für ein Leben! Gütiger Gott, was für ein Leben!«
    Die Entrüstung spornte ihn an, trieb ihn durch den rieselnden Schnee, seine Stiefel kneteten den weißen Brei, endlos, Schritt um Schritt. Unter den Füßen spürte er die Straße, eine festgefahrene Schicht, verkrustet und dick verweht.
    Vorwärts, nur vorwärts, dachte der Doktor, ohne den Schritt zu verlangsamen.
    Er hatte begriffen, was das Wichtigste war: dass man sich nicht Bange machen lassen durfte von dieser kalten, leblosen Wucht der Elemente. Gehen, immer weitergehen, mitten hindurch.
    Umgeben von Finsternis, die angefüllt war mit Schnee, lief Doktor Garin und lief. Den Krächz und seine Pferdchen schüttelte er ab, ließ sie hinter sich wie eine leidige Vergangenheit – vor sich den Weg, den er zu gehen hatte.
    Dolgoje kann nicht mehr weit sein, sagte er sich. Ich hätte diesen Tölpel schon längst sitzen lassen und loslaufen sollen, dann wäre ich jetzt an Ort und Stelle …
    Beim nächsten Schritt rutschte er in eine Grube und

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