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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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geraten, und dummerweise klaffte es genau da, wo an seinem Rücken, unterm linken Schulterblatt, das Loch im Schafpelz war – da war er letzten Winter in der Bäckerei von Chljupino beim Heraustragen der Brote an der Türklinke hängen geblieben; er hatte die Stelle mit Sackgarn geflickt, es hatte den ganzen letzten Winter über gehalten, aber jetzt, von dem ganzen Tohuwabohu, war das Loch anscheinend wieder aufgerissen, und nun zog es ihm durch den Spalt direkt ans linke Schulterblatt, und sich zu drehen ging nicht mehr: Der Doktor schlief schon.
    Ach, wie dumm!, dachte der Krächz und versuchte vorsichtig, mit Rücksicht auf die Pferde, die linke Schulter von dem Spalt abzurücken, stattdessen das Rückgrat davorzulegen.
    Eins der Pferdchen verfing sich mit dem Maul in seinem Bart.
    »Na, wer kitzelt mich da?«, fragte der Krächz liebevoll und lächelte.
    Das Pferd wieherte leise auf.
    »Ja, was hast du denn, mein Grauchen?«, fragte derFuhrmann, denn an der Stimme hatte er einen seiner vier falben Wallache erkannt.
    Das Pferd, als es seinen simplen Rufnamen hörte, reagierte mit noch mehr Gewieher. Und pinkelte auf die Brust seines Herrchens.
    »Nur kein Bammel!«, sagte der Krächz begütigend und stupste das Pferd mit dem Kinn ganz sachte gegen das Maul.
    Das Grauchen zuckte zurück und streckte das Maul an des Krächzens Hals, dahin, wo schon zwei andere Pferdchen ihre Nasen vergruben. Auf die Äußerung des Grauen meldete sich auch gleich der kecke Rotschimmel, der im Ärmel des Herrchens geschlummert hatte, und ließ ein eifersüchtiges, herausforderndes Wiehern hören.
    »Na, was willst du denn jetz wieder?«, fragte der Krächz und schnipste ihm den Finger gegen die aus dem Ärmel ragende Kruppe.
    Darauf ließ der Rotschimmel nichts weiter hören, biss dem Herrchen stattdessen neckisch in den Arm.
    So ein Stromer!, dachte der Krächz und lächelte still ins Dunkle; er musste daran denken, wie er den Kleinen im Sommer unter seiner Jacke nach Hause getragen hatte.
    Bis dahin hatte er nur einen Rappschimmel in seiner Herde gehabt. Den Roten – ein junger Hüpfer, gerade mal sechs Monate alt – hatte er bei einem fahrenden Schneider in Chljupino gegen einen Kanister Benzin eingetauscht, den er zuvor einem seiner Verwandten abgekauft und schon auf dem Karren des Landvermessers Romytsch, Friede seiner Seele, verstaut hatte, als dieser Schneider des Wegs kam, nicht mehr nüchtern, und sich brüstete, man habe ihm zwei Frauenkleider und zwei Samtjacketts mit einem kleinwüchsigen Hengst vergolten. Er zog ihnauch gleich aus der Tasche und zeigte ihn herum. Das Tier war ein außerordentliches Schmuckstück: rot mit weißem Deckhaar, feuerroter Mähne, nicht eben breitbrüstig, doch äußerst lebhaft, es wieherte praktisch ununterbrochen. Dem Krächz hat es gleich gefallen. Vielleicht schon deswegen, weil ihm erst vor Kurzem zwei Hengste von einer rätselhaften Krankheit dahingerafft worden waren, zwei Kummete am dritten Holm also leer standen. Oder auch nur, weil das Tierchen ungefähr so rote Haare hatte wie der Krächz selber. Der Schneider schwätzte einen Haufen Blech, von wegen, er täte das Pferdchen aufziehen und an Fuhrleute verleihen wollen, doch als der Fuhrmann ihm den Kanister Zweiundneunziger anbot, da wurde er schnell schwach und willigte ein. Auf der Nachhausefahrt ging der Rotschimmel unter seiner Jacke um und wieherte beunruhigt. Auch in der Herde ließ er sich lange nicht besänftigen. Er war ein stürmisches Blut, ein frecher Charakter, ohne dass er deswegen die Rolle des Leitpferds beanspruchte. Das war und blieb ein besonnener, breitbrüstiger rehbrauner Wallach.
    Der Krächz rückte sich ein wenig zurecht, immer noch bemüht, den Dreiangel in der Schulter vom Schlitz in der Kaube zu entfernen. Auch von unten, vom vereisten Bretterboden der Kaube her, zog es kalt herauf. Wärme ging einzig von den Pferden aus. Selbst im Dunkeln hätte der Krächz genau sagen können, welches Pferd sich wo befand. Den acht Falben zum Beispiel, die sich bei jeder Gelegenheit zusammenrotteten, eine Herde in der Herde bildeten, war es auch jetzt gelungen, in ganzer Traube zwischen seinen und des Doktors Beinen beieinanderzuhocken. Der Doktor schlief, blies dem Krächz seinen röchelnden Atem gegen die Stirn. Hochgewachsen, wie er war, mitsamt seinen Armen und Beinen, nahm er beinahe die ganze Kaube ein.

    Ein großer Mensch, dachte der Krächz, und ihm fiel gleich wieder der tote Riese ein und dessen harte Stirn,

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