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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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Pferdegeruch. Darin rappelte es und schnaubte; neuerliches Wiehern. Und dann vernahm er des Fuhrmanns Stimme:

    »Doktorchen!«
    Verdutzt schaute der Doktor hinein. Streckte die Hand vor, tastete. Eingerollt lag der Krächz am Grund der Kaube unter seinen Pferden.
    »Ja, sag mal … Was machst du da«, krächzte der Doktor.
    »Kommt flugs rein!«, forderte der Krächz ihn auf und rückte ein Stück beiseite. »Hier isses warm. Bisses hell wird, hält mans hier aus. Kann nich mehr lang dauern.«
    Den Doktor zog es mit Macht in diese finstere warme Höhle, die so süß nach Pferden duftete – und wie es ihn zog, nichts wie hinein! Hastig und ungeschickt kletterte er in die Kaube. Der Krächz rückte die Pferde zu sich herüber, sodass ein Plätzchen für den Doktor frei wurde. Der zwängte sich neben ihn; sein eiskaltes Kinn kam auf des Krächzens erhitzter Stirn zu liegen, während Arme und Beine gegen die Pferde stießen, die unruhig zu wiehern anfingen. Der Krächz half ihnen, zog sie unter dem Doktor hervor.
    »Iss ja gut, iss ja gut. Müsst keine Angst haben …«
    Davon, dass der Doktor seinen umfänglichen Leib in die Kaube quetschte, drohte sie aus den Nähten zu platzen. Dabei machte sich der Krächz, auf der rechten Seite liegend, so schmal wie möglich, nahm die nassen Knie des Doktors zwischen seine Beine, drängte die nervös wiehernden Pferdchen nach oben, packte sie sich und dem auf der linken Seite lagernden Doktor obenauf. Der Doktor zappelte, ging um wie ein Bär in der Höhle, ohne auf den Krächz und die Pferde Rücksicht zu nehmen, er wollte nur eins: dieser grässlichen Kälte entkommen, dahin, wo es am wärmsten war.
    Irgendwie fand ein jedes seine Position, sie kamen zur Ruhe. Die Pferde lagen zuoberst, manche zwischen ihren Beinen, ein paar von ihnen hatte der Fuhrmann sichum den Hals gelegt. Er zerrte seine linke Hand hervor und schloss die Matte über ihnen.
    In der Kaube wurde es stockdunkel.
    »So lässt sichs aushalten«, brummte der Krächz dem Doktor in die schwer atmende, nach Schweiß und Kölnischwasser riechende Brust.
    Garin lag unbequem, die Mütze war ihm über die Augen gerutscht, doch das zu ändern fiel ihm nicht ein: Die Kraft reichte gerade noch zum Atmen. Vier Pferdchen hatten in seiner Mütze ihr Lager gefunden, drei in der vom Krächz.
    »Und ich hatt gedacht: Der Doktor dreht ums Verrecken nich um«, sprach der Krächz dem Doktor in die Brust.
    Die Antwort war ein schweres Seufzen, auch fing der Doktor wieder an herumzufuhrwerken, seine Knie drückten den Krächz beiseite. Im selben Moment krachte es hinter dessen Rücken: Die Kaube war geplatzt.
    »Ach du Schande …« Der Krächz konnte den Spalt am Rücken spüren.
    Der Doktor hielt wieder still.
    »Ich hab … den Weg nicht gefunden«, krächzte er mit beschlagener Stimme.
    »Kein Wunder. Bei dem Schnee.«
    »Eben.«
    »Man sieht die Hand vor Augen nich.«
    »Nein.«
    Sie schwiegen. Die Pferde hatten sich schnell wieder beruhigt und gaben auch keinen Ton mehr von sich. Nur der Rotschimmel, das unruhige Blut, war mit dem Maul in den Ärmel seines Herrchens gefahren, schnappte dort nach dessen Arm.
    »Und die … wie …«
    Der Doktor mühte sich, eine Frage zu stellen.

    »Hä?«
    »Deine Pferde …«
    »Was iss mit denen? Sind alle hier.«
    »Die machen es … warm?«
    »Ja nu, der Herr. Die wärmen uns und wir sie. Als wie gegenseitig.«
    »Gegenseitig?«
    »Gegenseitig.«
    Der Doktor schwieg eine Zeit lang, dann sagte er so leise, dass es kaum zu verstehen war:
    »Ich … bin ganz … erfroren.«
    »Logo.«
    »Ich … will nicht sterben.«
    »So Gott will, sterbt Ihr schon nich. Bald wirds helle. Sowie wir wieder was sehn, baun wir die Kufe und brechen auf. Oder vielleicht, dass wer hier durchkommt und uns aufliest.«
    »Aufliest?«
    »Ja nu. Aufliest und mitnimmt.«
    »Kommt denn hier … wer durch?«, röchelte der Doktor.
    »Warum nich? Brot zum Beispiel wird ausgefahrn in aller Früh, muss ja. Um sieben, da spann ich an. In Euerm Dolgoje brauchen die Leut auch was zu beißen. Irgendwer kommt und nimmt uns mit bis Dolgoje, was dachtet Ihr.«
    Der Doktor war schon im Wegdämmern, als er das Wort Dolgoje hörte und nicht gleich wusste, was das hieß. Aber dann fiel ihm doch wieder ein, dass er, Doktor Garin, auf dem Weg nach Dolgoje war und eigentlich schon längst hätte dort sein müssen mitsamt den Vakzinen, Silberstein wartete schon auf ihn, er hatte die Vakzine eins gespritzt, und er, Garin, kam mit den

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