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Der Schneesturm

Der Schneesturm

Titel: Der Schneesturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Sorokin
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bei Podolsk irgendwo, wo der Onkel in den Gewächshäusern Saisonarbeiter gewesen; verborgen in einer Schubkarre voll Torf, haben sie die Larve rausgeschafft und nach Pokrowskoje gebracht, der Vater hat sie im Keller versteckt und als Pökelschinken getarnt, in Gaze gepackt und mit Fettflecken versehen; es ist die Larve des großen blauen Totenkopfschwärmers, außerordentlich schön und überaus kostbar, dreimal mehr wert als das väterliche Haus, der Vater ist schon mit Rumänen handelseinig geworden, Hauptsache, sie lagert kühl, damit der Falter nicht vor der Zeit schlüpft, dann ist alles umsonst. Und so wäre es nun an Kosma, die Larve aus dem brennenden Haus zu schaffen und unbemerkt in dem kleinen Erdkeller im Garten zu verstecken, dort ist es ebenso kühl, und wenn der Vater nach Hause kommt, wird er die Larve heil vorfinden, wird sie betasten, in den Armen wiegenwie ein kleines Kind, wird mit ihr aus der Erdkammer steigen; doch ringsum steht schon alles in Flammen, wie schnell das gegangen ist, ein einziges Lodern, furchtbar heiß und furchtbar hell, er, Kosma, ist auf dem Weg zur Tür, in den Armen die Larve, doch auf einmal zeigt sich in ihr ein Riss, er läuft schneller, doch der Riss wird größer, und der blaue Schmetterling, sagenhaft schön, beginnt sich zu entpuppen, aus der Larve zu befreien, aus Kosmas Händen – und was für ein unglaublich schöner Schmetterling das ist, so angenehm glatt und seidig, er ist so schön, dass Kosma den Vater vergisst; wie ein Engel so schön, ja, der leuchtend blaue Totenkopf auf seinem Rücken ist gar kein Totenkopf, ist in Wirklichkeit ein Engelsgesicht, das herrliche Antlitz eines Engels, schimmernd und schillernd in allen Nuancen von Blau, und der Schmetterling singt, singt mit feiner, tremolierender Stimme, und gleich, gleich wird er sich Kosmas Händen entreißen, schwingt seine großen Flügel, schlägt mit ihnen so kräftig, so anmutig, dass Kosmas Herz zu beben beginnt, zu flattern wie diese Flügel, er kann den Schmetterling nicht loslassen, er darf es nicht, um keinen Preis, er packt ihn bei den dicken, seidigen Beinen, der Schmetterling singt, schwingt die Flügel, fliegt durch das brennende Fenster hinaus, trägt Kosma mit sich fort, dessen Hände mit den Beinen des Schmetterlings verschmelzen, beider Knochen miteinander verwachsen, das Lied des Schmetterlings tönt in ihnen fort, es ist das Lied eines neuen Lebens, das Lied des vollkommenen, unwiderruflichen Glücks, das Lied der großen Freude, sie singen es im Chor, und der Schmetterling trägt ihn durch das endlose brennende Fenster, durch das enge Feuerfenster, durch das schnelle Feuerfenster, durch das lange Feuerfenster, Feuerfenster, Feuerfenster Feuer fenster fernster.

    Am grauen Horizont flammte eine Sonne auf. Beleuchtete das weiße Feld und den leeren fahlblauen Himmel mit dem Mond und den erblassenden Sternen. Ein Strahl von ihr traf, nach dem weiten Weg übers Feld, das eingeschneite Mobil, fiel genau in den Schlitz in der Kaube und einem der vier Pferdchen, die in des Doktors Fuchspelzmütze schliefen, ins Auge. Der Rotschimmelhengst schlug es auf.
    Draußen raschelte etwas im Schnee. Etwas schurrte über das Holz der Kaubenwand. Gleich darauf hob sich der Rand der Abdeckmatte, und ein Fuchs steckte seine unverkennbare rote Schnauze in die Kaube herein. Der Rotschimmel wieherte entsetzt. Die anderen Pferde erwachten und fuhren hoch. Wieherten gleichfalls auf, als sie den Fuchs erblickten, drängten zur Seite. Der Fuchs griff sich das erstbeste Tier und zog sich zurück. Die übrigen gingen auf die Hinterbeine und hörten nicht auf zu wiehern.
    Der Lärm gellte in des Doktors linkem Ohr, dass es schmerzte. Ihm war, als hätten die Neurochirurgen dort ihren Bohrer angesetzt. Die Augen zu öffnen bereitete jedoch Mühe. Und zu sehen war ohnehin nichts. Schwärze. Wiehernde Schwärze! Der Doktor versuchte, den rechten Arm zu bewegen. Es gelang nicht. Die Finger der linken Hand konnte er rühren. Die Hand steckte in der Tasche seines Parkas. Der Doktor zog sie hervor, der Arm schien taub und wollte sich nicht fügen, er fasste sich mit dem Handschuh ins Gesicht. Dort lag die Pelzmütze. Mühsam, mit ungelenken Fingern schob der Doktor sie beiseite. Schlagartig war es hell, ein Sonnenstrahl stach ihm ins linke Auge. Die Pferde wieherten, ihre winzigen Hufe trappelten dem Doktor über Kopf und Rumpf.
    Der Doktor riss die geblendeten Augen auf, er wusste nicht, wo und wer er war.

    Er

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