Der Schneider himmlischer Hosen
Einladung. Allerdings erfuhr sie von den Fünf Tugenden, daß einer meiner Freunde aus Tientsin das Gastzimmer bewohne und mit uns zu Abend essen werde. Als sie gegen dreiviertel acht ins Arbeitszimmer kam, fiel mir auf, daß sie ihr schönstes Abendkleid angezogen hatte. Aber sie nahm wohl an, der Gast sei Jeremiah Mettray. So kam es, daß die Begegnung zwischen Kuniang und Paul Dysart für alle beide zur Überraschung wurde. Und diese Überraschung erhöhte noch das augenblickliche Gefallen, das sie aneinander fanden.
Kuniang stand neben dem Kamin, als Paul das Zimmer betrat; der Schein einer großen Stehlampe fiel ihr auf Kopf und Schultern. Ihr Kleid war von zartgrüner Farbe, dazu trug sie Silberschuhe. (Donald Parramoor hatte Kuniang die Kunst beigebracht, sich gut anzuziehen.) Die großen grauen Augen glichen Seen, und die Jadearmbänder auf ihren Armen zeigten Lichter und Schatten wie strömendes Wasser. Sie erinnerte mich an eine der Rheintöchter, die das Rheingold im Haar tragen.
Paul blieb eine Sekunde neben der Tür stehen und starrte das schöne junge Mädchen überrascht an; sie gab den Blick zurück: vermutlich wunderte sie sich, wie sich der alte Jeremiah Mettray verändert hatte. Sie stand im vollen Licht der Lampe, ein Geschöpf aus Licht, Jugend und Schönheit. Er blieb wie ein Schatten im Dunkel der unbeleuchteten Zimmerecke.
Ich stand auf und stellte die beiden einander vor, und noch im selben Augenblick überkam es mich: diese jungen Menschen mußten einander lieben! Es war mir, als sähe ich zwei Flammen, die immer näher zusammenrückten, bis sie vor meinen Augen eins wurden.
Kuniang zählte damals neunzehn Jahre, und ihr Herz wartete auf Liebe. Paul war ein junger Mann, noch im vollen Besitz seiner Kräfte, aber vom Schatten des nahenden Todes gezeichnet. Sicherlich erschien ihm Kuniang als die Verkörperung alles dessen, was liebenswert ist auf dieser Welt, die er so bald verlassen mußte. Liebe keimt oft plötzlicher und gewaltsamer, wenn sie im Schatten des Todes geboren wird.
Zudem besaß er etwas, das Kuniang noch nie begegnet war. Er gehörte zu jenen Männern, deren gute Kinderstube, deren Ritterlichkeit Frauen gegenüber in jedem Wort und in jeder Bewegung zum Ausdruck kommen, mit einer Natürlichkeit, die angeboren ist wie die Farbe der Augen und Haare. Männer behandelte er mit überlegener Sicherheit; Frauen mit unbewußter Scheu.
Donald Parramoor war nichts als Geschäftigkeit Und Spaß und lustige Aufregung gewesen. Jede Stunde mit ihm, seinen Seiden und Federn brachte neues Entzücken. Wahrscheinlich behandelte er Kuniang nicht viel anders als seine Mannequinschwestern.
Aber Paul Dysart gehörte zu dem Typus Mann, dessen Liebe einen schützenden Arm um die Frauen legt. Schon sein Blick zu Kuniang herab war eine Liebkosung. Er bezauberte sie nicht wie Donald durch Sprechen, aber er brachte sie zum Sprechen, zum Sprechen über sich selbst. Donald hatte sie vor einen Spiegel gestellt. Paul Dysart hielt ihrer Seele einen Spiegel vor. Dennoch verstand er es, ihr den Hof zu machen (eine unerläßliche Kunst, wenn man die Liebe einer schönen Frau gewinnen will). Ich erinnere mich noch, daß seine Worte an jenem ersten Abend den Eindruck zu erwecken wußten, als kenne er Kuniang — wenigstens vom Sehen — seit Jahren.
«Aber Sie sehen mich doch heute zum erstenmal!» rief sie.
«Ich habe Ihre Augen schon oft gesehen. Auf den Gemälden der alten Meister! Wäre ich Raffael, ich würde meinen Madonnen Ihr Gesicht geben.»
Es drückte mir das Herz ab. Ich hatte vorausgesehen, daß Kuniang sich eines Tages in einen anderen Mann verlieben und ich alle Qualen der Eifersucht leiden würde, sollte ich sie verlieren. Aber ich war nicht vorbereitet auf die Tragödie, die ich doch erwartete. Und wie konnte ich auf einen Todkranken eifersüchtig sein?
Indes, Kuniang strahlte. So strahlt eine Sternschnuppe: jäh aufleuchtend vor dem Verlöschen.
Die Hände Buddhas
1
Wäre Paul Dysart allein in einem Hotel abgestiegen, er hätte sich wohl kaum die Muhe gemacht, Peking anzusehen. Aber in den ersten Tagen seines Aufenthaltes ließ er nichts davon verlauten, wie traurig es um seine Gesundheit stand, und so unternahm Kuniang Verschiedenes, was ihm ihrer Meinung nach Freude machen mußte; sie zeigte ihm den Himmelstempel, die Seenpaläste—soweit die Verbotene Stadt damals zugänglich war (der kleine Kaiser bewohnte einen Teil davon) —, und eines Tages besuchten sie
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