Der Schneider himmlischer Hosen
der «Prinzessin im Tatarenland»:
Sie lebt in grimmiger Kälte,
In Eis und Schnee sie verblüht;
Dieweil sie im Eisland trauert,
Singt sie immer nur dies Lied.
An kalten Abenden stellt mir Unvergleichliche Tugend stets den Teekessel aufs Feuer. Ich nahm ihn, holte Brandy und bereitete Kuniang ein Glas Grog. Neben dem Kamin stehend, trank sie es aus. Die Flammen spiegelten sich in den Metallschuppen ihres Panzers und ließen unter den Gazehosen den schlanken Körper durchscheinen. Als ihr warm war, ging ich ans andere Ende des Zimmers und öffnete eine der Truhen aus Kampferholz, in denen meine Seiden liegen. Ich suchte die rosenfarbene wattierte Decke heraus, die Donald so gut gefallen hatte.
Als ich zurückkam, stand Kuniang noch immer neben dem Feuer. Sie sah mich fragend an, vermutlich dachte sie darüber nach, was nun geschehen würde. Ich breitete die Seidendecke auf dem Sofa aus und befahl Kuniang, sich daraufzulegen. Sie tat es, noch immer verwundert. Dann schlug ich sie in die Seide ein, deckte ihr auch Kopf und Füße zu und trug sie in ihr Zimmer. Nicht anders trug man durch die Höfe des Palastes dem Kaiser die Konkubine seiner Wahl zu. Aber damals war es ein Eunuch, der sie im Arm hielt. Kuniang schien mir so leicht, daß ich sie kilometerweit hätte tragen können. Doch als ich mit dem Fuß die Tür ihres Zimmers auf stieß, klopfte mein Herz in schnellen Schlägen. Ich legte sie aufs Bett, und dabei fiel die rosenfarbene Decke auseinander. Kuniangs Gesicht lag andern meinen; ihr weiches Haar strich mir über die Wange. Da wußte ich, daß ich sie nie mehr fortlassen würde. Mein Gesicht war kalt von der Luft draußen, das ihre aber warm und süß duftend, als lägen alle Blumen des Sommers auf ihrem Mund.
Elisalex hatte richtig prophezeit.
Jeremiah Mettrays Nachfolger
«Lärm ist auf dem Marktplatz nicht,
Noch Stille in den Bergen...»
Ich erinnere mich nicht mehr genau, wo ich dieses chinesische Sprichwort gefunden habe; vermutlich in der Broschüre eines Missionars, die in Hongkong erschienen ist. Wie so oft in der Literatur des Ostens, ist der Gedanke nur halb zum Ausdruck gebracht. Der Leser muß den Schluß erraten:
«...sie wohnen ewig wechselnd nur
Zuinnerst im Menschenherzen.»
Das Heim der Fünf Tugenden war mir ein angenehmer, behaglicher Wohnort gewesen, wo ich nachdenken, schreiben und die Welt des Ostens studieren konnte. Aber nicht in den wohlgehüteten Höfen wohnte der Friede. Der Friede wohnte in meinem Herzen. Und als ich sah, daß ich Kuniang liebte, verließ der Friede mein Herz.
Kuniang und ich hatten oft darüber gesprochen, wie vorteilhaft es für sie wäre, Verehrer zu haben, die wir uns dann vorstellten:
«Kesselflicker, Offizier, Seemann, Kavalier...»
Das war geradezu eine Redensart bei uns geworden. In der Regel schlug ich Offiziere aus einer der Gesandtschaftstruppen vor (einen Hochländer im Kilt oder einen Marineoffizier in Sommeruniform), einen gelehrten Dolmetsch, einen reichen Tai-pan aus Schanghai oder gar einen chinesischen Kriegsherrn mit einem halben Dutzend Frauen.
Aber nun verging mir der Humor solcher Spielereien. Ich wollte Kuniang für mich haben. Meine Gefühle hatten schon eine ganze Weile unter der Oberfläche geglost, und plötzlich überwältigte mich die Glut hochschießender Leidenschaft, als ich Kuniang in ihr Zimmer zurücktrug, eingehüllt in die rosa Seidendecke, wie eine kaiserliche Konkubine.
Doch wenn ich mir ihre Lage vor Augen hielt — durfte ich da von Liebe sprechen? Vielleicht würde sie sich mir nur aus Dankbarkeit geben, aus dem Gefühl einer mißverstandenen Pflicht?
So kam ich zu keinem Entschluß, und aus war’s mit meinem Frieden im alten Shuang Lié Ssè.
Unterdessen erschien jemand Neues auf dem Schauplatz.
Darum muß ich meine Geschichte von vorn beginnen und von Menschen und Ereignissen berichten, die nichts mit dem Heim der Fünf Tugenden zu tun haben. Ich muß erzählen, wie Jeremiah Mettray zu seinem Nachfolger kam, in Tientsin, im zweiten Jahr des Krieges.
Wenn ich in jenen Jahren einen geschäftlichen Rat brauchte, dann fuhr ich nach Tientsin, um meinen alten Freund Jeremiah Mettray zu befragen.
Jeremiah war im Jahre 1861 als junger Mensch nach China gekommen und hatte sich in Tientsin niedergelassen, als eben das erste britische Konsulat dort begründet wurde. Er erwarb ein Vermögen, das man zur Zeit seines Todes auf etwa fünfzehn Millionen mexikanische Dollar
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