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Der Schneider himmlischer Hosen

Der Schneider himmlischer Hosen

Titel: Der Schneider himmlischer Hosen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniele Varè
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plötzlich aufflammendem Interesse sich erhellte, als eröffne ihm dieser Begriff neue Gebiete des Denkens.
    Aber der Begriff war uns nicht recht klar. Und obgleich der Abt sich gerne näher erklären wollte, fanden wir es schwer, ihn zu verstehen.
    «Es kommt dadurch zustande», sagte er, «daß man die denkende Seele auswechselt, während der Leib schläft.»
    «Und das Ergebnis ist ein Traum?»
    «Ja.»
    «Das gemahnt mich an Du Mauriers Roman . Dort kommt ein junger Gefangener vor, der im Traum allnächtlich sein Gefängnis verläßt, um die Frau zu treffen, die er liebt; und zusammen erinnern sie sich dann ihrer Vergangenheit.»
    Kuniang setzte an: «So einen Traum gibt es auch in...»
    Aber sie vollendete den Satz nicht. Ich unterdrückte ein Lächeln. Anscheinend sollte Paul nicht wissen, daß sie «Aphrodite» gelesen hatte.
    Damit wäre die Sache eigentlich erledigt gewesen, aber Paul verbiß sich in das Thema. Der Abt erkannte, daß sein mühsames Französisch nicht ausreichte, einen technischen Prozeß aus dem Reich experimenteller Psychologie zu erklären, und so machte er schließlich den Vorschlag, uns praktisch vorzuführen, was er zu beschreiben versucht hatte. Paul war einverstanden.
    In diesem Augenblick wurden die beiden Lamas zu der Zeremonie abberufen, die eben beginnen sollte. Wir alle standen auf, während sie sich verabschiedeten. Kuniang kam dicht zu mir und flüsterte besorgt:
    «Hältst du es nicht für gefährlich, den Mann Experimente mit Paul machen zu lassen? Du weißt doch, daß diesen Priestern nicht zu trauen ist!»
    Ich sah erst sie an und dann Paul, der in geringer Entfernung mit dem Abt sprach. Pauls Interesse und sichtliche Bereitwilligkeit, alles zu tun, was der Abt vorschlug, mußte jeden überraschen, der nicht wie ich wußte, daß der junge Mann vom Tod gezeichnet war. Vielleicht wollte er nur allzugern seinem Ich entrinnen. Unter diesen Umständen glaubte ich nicht, daß der Abt ihm etwas zuleide tun könne. Ich hatte auch keinen richtigen Anlaß, einzugreifen. So tat ich mein möglichstes, Kuniang zu beruhigen, und erklärte, es könne nicht das mindeste geschehen, solange wir dabei seien. Dann folgten wir Paul und dem Abt in das anstoßende Zimmer, in dem sich ein Kang — das chinesische Bett — befand. Aber chinesische Betten sind hart. Sie eignen sich schlecht für ein Nachmittagsschläfchen; darum holte der Abt ein paar wattierte mongolische Gewänder, die leicht nach Kampfer rochen, und breitete sie über den Kang.
    Dann fragte er, ob Paul auf diesem Bett einschlafen könne, wenn man ihn allein lasse. Paul erklärte sich bereit, es zu versuchen, bezweifelte allerdings, ob es zu dieser Stunde auch gelingen würde. Da sagte der Abt, es sei nicht ausgeschlossen — wenn Paul sein möglichstes tue —, ihm zu helfen.
    «Sie wollen mir demnach helfen, einzuschlafen?»
    «Ja.»
    «Aber dann ist das ganze Experiment doch reine Hypnose!»
    Der Abt schüttelte den Kopf, machte aber keinen Versuch, sich zu erklären. Er gab uns ein Zeichen, wir sollten warten, und verließ das Zimmer.
    «Bestimmt holt er Opium», sagte Kuniang. «Ich an Ihrer Stelle ließe ihn keine Kunststücke mit mir machen.»
    «Hier im Lamatempel gibt es doch kaum eineOpramhöhle», meinte Paul.
    «Nein. Aber jeder Chinese, der es sich leisten kann, hat Opium im Haus.»
    Der Abt kam mit einem kleinen brennenden Kohlenbecken zurück und wir verspürten den einschläfernden Geruch von Mohn. Kuniang hatte richtig vermutet. Aber Paul zeigte keine Absicht, ihre Warnung zu beachten. Trotz seines lauen Zugeständnisses, er mache sich lächerlich, zog er Schuhe und Rock aus und legte sich auf den Kang. Dann bedeutete der Abt Kuniang und mir, ihm zu folgen. Zusammen traten wir in einen kleinen Hof hinaus.
     
     
     

2
     
    Mein Vorschlag, den Lamatempel zu besichtigen, sah keineswegs neuartige Experimente in hypnotischer Suggestion vor. Ich hatte wenig Interesse für die Möglichkeit, das «denkende Ich» mit einem fremden zu vertauschen (obgleich ich die östliche Auffassung, wonach das Ich in einzelne Bestandteile zerlegt werden kann, gelten lasse). Darum ärgerte ich mich ein wenig, faul dastehen zu müssen, bis Paul auf einem chinesischen Kang unter dem Einfluß von Opium eingeschlafen wäre.
    Kuniang dagegen schien durchaus befriedigt. Sie ließ sich auf den Rand einer Marmorterrasse nieder, nahe den Stufen zur Türe, aus der wir eben herausgekommen waren. Dann nahm sie den Strohhut ab und

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