Der Schneider himmlischer Hosen
Patuschkas Haus ist kein einziger dienstbarer Geist zurückgeblieben, drum wohnt sie jetzt im Hotel, im Telegraph-Hotel am österreichischen Glacis. (Das Glacis gehört heute zwar den Japanern, aber es heißt noch immer das österreichische Glacis.) Ein sehr schäbiges Hotel. Ich dachte, daß Elisalex vielleicht auf dem trockenen sitzt, aber Fjodor und Natascha behaupten, sie hätte Geld genug. Sie schreibt mir von Zeit zu Zeit, kurz, aber sehr- herzlich. Doch sie verrät nicht, was sie macht.
Hoffentlich kommst Du bald wieder in den Norden. Es ist sehr hübsch hier, aber ich wäre lieber bei Dir im Heim der Fünf Tugenden.
Allerherzlichst Deine
Kuniang.»
Ein anderer Brief, gleichfalls von Kuniang, trug das Datum des 17. Juli, Mir fiel auf, wie. unbeschwert sie über Paul Schrieb. Der Brief begann wie der frühere: mit Neuigkeiten aus Shan-hai-kwan.
«Weißt Du, daß unter den Irredenti eine Menge Musiker sind? Der ganze, Chor der Triestiner Oper ist hier versammelt. Gestern verschafften sie sich ein paar Barken, die an der Flußmündung verankert liegen, und ruderten die Küste entlang. Dann, als die Sonne unterging, ließen sie die Ruder sinken und sangen italienische Fischerlieder. Ein sonderbarer Eindruck — vor der chinesisch-mandschurischen Küste italienische Stimmen zu hören! Matuschka zuliebe singen sie auch ein Abendgebet, das sie in Rußland gelernt haben. Es war wunderbar! Sie erzählten mir nachher, daß die russischen Soldaten in der Abenddämmerung dieses Lied singen oder gesungen haben, zuweilen zur Begleitung fernen Geschützdonners. Wir alle haben das Gebet gelernt und singen es nun jeden Abend.
Patuschka und Matuschka sind jetzt weit zivilisierter als in Peking. Wahrscheinlich haben sie das Gefühl, daß man sich hier anständig benehmen muß. Die ganze Familie ist ehrbar geworden und trägt Schwimmanzüge. Patuschka wirft niemandem mehr Schüsseln an den Kopf, und niemand mehr wird verprügelt. Es ist zu öd.
Aber hie und da vergessen sie sich und erscheinen unbekleidet auf der Veranda.
Onkel Podger hat von Shan-hai-kwan allmählich genug. Er legt wenig Wert aufs Landleben und vermißt den guten, echt chinesischen Essengeruch, den der Südwind über die Tatarenmauer trägt.
Daß der arme alte Mr. Mettray in Pei-ta-ho gestorben ist, dürftest Du erfahren haben. Warum schwimmt auch ein so alter Herr so weit hinaus! Kein Wunder, daß sein krankes Herz nach dem Kampf mit der rückströmenden Ebbe versagt hat. Vor der Küste hier liegt eine Sandbank, hundert Meter weit draußen. Wir schwimmen manchmal hinüber, aber wenn die Strömung seewärts geht, ist das Zurückkommen keine Kleinigkeit.
Paul schreibt mir, daß er jetzt, nach dem Tod seines Großonkels, nicht mehr lange in Tientsin bleiben will. Er hat ein Haus in Peking gemietet, kilometerweit von uns, in der Nähe des Lamatempels. Den ehemaligen Palast des Herzogs Lan, des Boxer-Herzogs. Paul sagt, daß er dort wohnen will, damit der Abt ihn besuchen und träumen lassen kann. Er hat schon einige weitere Träume gehabt, aber sie spielten alle in der Mongolei und im asiatischen Hochland. In diesen Träumen war er ein kleiner Junge, und ich kam noch nicht vor. Der Abt hat ihm aber versprochen, daß ich später Vorkommen werde. Wie kann der Abt die Geschichte eines ganzen Lebens erfinden? Ich halte das für unmöglich. Vielleicht läßt er Paid bloß träumen, woran er sich selbst erinnert, oder was man ihm erzählt hat. Ich freue mich schon sehr, Paul wiederzusehen, bis wir alle in Peking sind. Seit einiger Zeit soll es ihm leider recht schlecht gehen. Wenn er Pflege braucht, möchte ich sie übernehmen. Das ist das einzige, was ich für ihn tun kann.
Fjodor will unbedingt nach Rußland. Die Berichte der Irredenti haben ihn zur Überzeugung gebracht, daß eine weit größere Revolution sich vorbereitet, und da muß er dabei sein. Die Alten kränken sich sehr darüber, aber sie haben wohl keine Macht mehr über ihn. Patuschka sagte neulich etwas sehr Gescheites. Er sagte, daß noch jede Revolution einen Bruch zwischen zwei aufeinanderfolgenden Generationen zur Folge gehabt hat — zwischen Eltern und Kindern. Vielleicht werden Patuschka und Matuschka eines Tages nach Rußland kommen und entdecken, daß Fjodor in der Regierung sitzt. Aber dann wird er seine alten Eltern nicht etwa freundlich aufnehmen, sondern vor eine Kompanie mit geladenem Gewehr stellen und als Reaktionäre erschießen lassen.
Die einzige, die nichts von
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