Der Schneider himmlischer Hosen
Mauer liegt wirklich ein Land, über das Elisalex einmal zu herrschen hofft. Aber wenn sie dann Königin ist — wer soll ihr König sein?
Ich hab Dir noch soo viel zu erzählen, daß ich es gar nicht niederschreiben kann. Inzwischen tausend Küsse
Kuniang.
PS.: Stell dir bloß vor, wie prächtig sich Onkel Podger auf den Stufen eines Thrones ausnehmen würde! Aber eigentlich brauchten wir zwei, auf jeder Seite einen. Allerdings nicht zwei Herren, wie die Marmorlöwen vor dem Shuang Lié Ssè. Bevor wir in das «Himmlische Reich» ziehen, müssen wir uns vom K’ai-men-ti einen zweiten Pekinesen beschaffen. Der kann dann Lady Podger heißen.»
Der Elfenbeinkäfig
So wie ich halbwegs hergestellt war, fuhr ich über das Meer nach Norden, mit der «Ting-San» der «Chinesischen Kauffahrteigesellschaft». Die «Ting-San» ist ein gemütliches altes Schiff und befährt schon seit so vielen Jahren die chinesische Küste, daß sogar die Taifune es vom Sehen kennen und mit Wohlwollen behandeln; jedenfalls hat es nicht die mindeste Angst vor ihnen. Der Kapitän, ein Schotte, hatte seinem chinesischen Koch die Kunst beigebracht, Porridge und schottische Suppen zu bereiten, wie man sie sonst nur in Europa nördlich des Tweed bekommt; dieser erfreuliche Umstand, dazu die sanften Küstenwinde machten die Reise zu einem reinen Vergnügen. Die übrigen Passagiere waren: mehrere chinesische Kaufleute, ein italienischer Schiffsoffizier, eine hübsche junge Frau mit Lockenfrisur und einigermaßen kurzen Röckchen (später stellte sich heraus, daß die Dame — eine Rumänin — in Tientsin ihren Gatten treffen sollte) und schließlich zwei unnahbar aussehende weibliche Wesen aus Boston, die sich anscheinend einbildeten, sie müßten die Welt wieder auf gleich bringen, sowie der Krieg zu Ende sei. Sie erzählten mir, daß ihre Reise ausschließlich dem Zweck diene, Wissen zu erwerben, weil sie sofort nach ihrer Rückkehr eine Bewegung ins Leben rufen wollten. Leider brachte ich nicht genug Interesse auf, um mich nach den Einzelheiten dieser «Bewegung» zu erkundigen.
Wie gewöhnlich mußten wir vor den Taku-Forts endlos lang auf die Flut warten; den letzten Teil der Reise (von Tang-ku) legten wir in einem Güterzug zurück, der uns schnaufend gegen sechs Uhr nachmittags nach Tientsin brachte.
Der Manager des Astor House, ein Schweizer, weiß als richtiger Hoteldirektor von seinen Stammgästen alles, was nur wissenswert ist, und noch eine Kleinigkeit mehr. Als er mich im Empfangsbüro — wo ich mir den Zimmerschlüssel geben ließ — erblickte, teilte er mir ungefragt mit, daß Paul Dysart im Hotel wohne. Ich wunderte mich, denn nach Kuniangs Briefen zu schließen, mußte Paul bereits in Peking sein, im Palast des Herzogs Lan. Nachdem ich mein Zimmer bezogen und gebadet hatte, rief ich Paul an und fragte, ob er mit mir zu Abend essen wolle.
Seine Antwort — am Telefon — kam mir unerwartet. Er sagte, er fühle sich nicht wohl genug, um abends etwas zu essen: sein Abendbrot beschränke sich auf eine Schale warmer Milch; aber er habe die Absicht, nachher einen Rout in der Italienischen Konzession — zugunsten des Roten Kreuzes — zu besuchen. Offenbar hielt er es für seine Pflicht, derartige patriotische Veranstaltungen zu unterstützen und soviel Geld dafür auszugeben, als er nur loswerden konnte. Er forderte mich auf, ihn zu begleiten, und wir verabredeten uns für halb zehn Uhr in der Halle des Hotels.
Ich hatte das Bedürfnis, Paul wiederzusehen, und zwar seit ich durch Kuniang von seiner Abmachung mit dem Abt wußte, seit er den sonderbaren Plan ausführte, im Traum ein ganzes Dasein zu erleben. Wenn Kuniangs Mitteilungen richtig waren, dann hatte er schon eine Reihe von Träumen hinter sich, ähnlich demjenigen, den ihn der Abt damals im Lamatempel träumen ließ.
Daß ein solches Experiment in der entschwundenen Welt eines Mandschupalastes vor sich gehen sollte, war nicht verwunderlich. Nirgends offenbart sich der «Zauber des Orients» deutlicher als in Peking (zumindest außerhalb des Gesandtschaftsviertels). Aber in der Industrieatmosphäre Tientsins gibt es nur die Poesie des Geschäftes und keinen Zauber außer dem, der den Handel mit fernen Ländern verklärt. Schiffe, Werften und Warenballen, Import und Export, Kursschwankungen, das Steigen der chinesischen Flüsse, die Gefahren des Bürgerkrieges: das sind die Dinge, die im Brennpunkt des Interesses stehen. Da bleibt kein Raum für
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